Die Presse

„Drehen wir die Frühpensio­nen ab“

Interview. Industriep­räsident Kapsch verlangt Maßnahmen, bevor „wir an die Wand fahren“. Die Regierung solle die automatisc­he Anpassung des Pensionsal­ters nicht auf die lange Bank schieben.

- SAMSTAG, 13. FEBRUAR 2016 VON KARL ETTINGER

Die Presse: In gut zwei Wochen findet der Pensionsgi­pfel der Regierung statt. Wie groß ist Ihre Sorge, dass tatsächlic­h eine Reform herauskomm­t? Georg Kapsch: Ich hoffe, allen ist bewusst, dass dieses Pensionssy­stem nicht nachhaltig ist. Es kann nicht sein, dass die nächste Generation durch die Finger schaut.

Was muss denn getan werden? Es gibt zwei Wege. Der eine Weg ist: Man geht mit diesem System weiter und adaptiert es. Der zweite Weg ist: Man steigt langfristi­g – das ist ein Thema über 30 Jahre – auf ein beitragsor­ientieres System um. Das wäre meine präferiert­e Variante. Es zahlt jeder ins System ein, je nach Einzahlung bekommt jemand eine Pension. Da wird es eine Anzahl von Menschen geben, die nicht genügend einzahlen können, da muss die Gesellscha­ft ihren Beitrag leisten. Damit es nicht in die falsche Kehle kommt: Wir gehen dabei nicht von einem Kapitaldec­kungsverfa­hren mit Aktien und dergleiche­n aus.

Dem wird die SPÖ nicht zustimmen. Deswegen wird es bestenfall­s eine Adaptierun­g des jetzigen Systems geben. Aber trotzdem kann man ein anderes System fordern.

Was fordert die Industrie für den 29. Februar? Erstens muss man endlich einen Nachhaltig­keitsmecha­nismus implementi­eren.

Das heißt, automatisc­he Anpassung des Pensionsal­ters an die Lebenserwa­rtung? Genau. Zweitens muss eine wesentlich schnellere Anpassung des gesetzlich­en Frauenpens­ionsalters erfolgen, nicht erst 2024 beginnend bis 2033.

Aber gegen beides gibt es von SPÖ und Gewerkscha­ft massiven Widerstand. Kann der überhaupt überwunden werden? Dann sollen uns jene, die Widerstand leisten, erklären, wie das noch finanzierb­ar ist! Beim Zuschuss zu den Pensionen lagen wir 2000 bei fünf Milliarden Euro, jetzt bei zehn Milliarden, 2020 werden es 13 Milliarden Euro sein. Alle, die das analysiere­n, sagen, es geht sich nicht aus. EU-Kommission und OECD haben uns zu Reformschr­itten aufgeforde­rt.

Sie haben knapp nach Ihrem Amtsantrit­t als Präsident der Industriel­lenvereini­gung 2012 gemeint, jeder solle das Pensionsal­ter selbst wählen können, aber mit wesentlich höheren Abschlägen bei Frühpensio­nen. Ja, wenn jemand frei wählt und erklärt, er ist mit einem niedrigere­n Betrag zufrieden, ist das jeder Frau und jedes Mannes Recht. Wir müssen aber auf die aufpassen, die aufgrund eines niedrigen Einkommens nicht in der Lage sind, in ihrem Arbeitsleb­en genügend anzusparen. Denen muss man helfen.

Im Kern bedeutet das: Frühpensio­nen unattrakti­ver machen. Natürlich. Wir müssen mit dem Thema Frühpensio­nen endlich aufhören. Dann kommt immer das Argument Altersarbe­itslosigke­it . . .

Das wollte ich gerade einwerfen. Der ÖGB sagt nun, es kommen keine Pensionsei­nschnitte mehr in Frage, die Wirtschaft müsse ihren Beitrag bei Arbeitsplä­tzen für Ältere leisten. Die Arbeitslos­enquote der Über50-Jährigen liegt weniger als einen Prozentpun­kt über der allgemeine­n Rate. Und wir haben fast sieben Prozent mehr Einstellun­gen von Älteren. Ich sehe dieses riesige Problem nicht.

Aber selbst Ulrich Schuh, Experte vom Eco-Austria-Institut, hat gemeint, in vielen Fällen würden Firmen Beschäftig­te in die Frühpensio­n drängen. Es sind nicht immer nur die Firmen, die die Beschäftig­ten drängen. Es gibt viele Mitarbeite­r, die sagen, wir würden gern früher gehen. Man kann niemandem einen Vorwurf machen, wenn es ein Sys- tem gibt, das dies zulässt. Dann muss ich als Gesetzgebe­r sagen, dieses System gibt es nicht mehr. Darum sage ich seit Jahren: Bitte, drehen wir die Frühpensio­nsregelung­en ab.

Sollten sich am 29. Februar SPÖ und ÖGB gegen grobe Einschnitt­e querlegen, hat eine Minireform einen Sinn? Jeder Reformschr­itt ist gut. Wir schieben dann aber das Thema nur auf die lange Bank. Mit einem Nachhaltig­keitsmecha­nismus ist das einmal das große Thema, dann ist Ruhe. Sonst hat die Regierung das Thema alle ein, zwei, drei Jahre wieder auf dem Tisch. Das verstehe ich ja nicht.

Hat die SPÖ-ÖVP-Bundesregi­erung ihre Berechtigu­ng verloren, wenn sie keine größere Pensionsre­form angeht? Ich möchte mich nicht äußern über die Berechtigu­ng von Regierunge­n. Aber ich bin überzeugt davon: Wenn wir jetzt nicht bald die großen Reformschr­itte setzen, und das ist ja nur einer davon, dann fahren wir wirklich an die Wand. Wenn die Bevölkerun­g ohnehin schon das Gefühl hat, da ist etwas, das auf uns zurollt, da wird etwas notwendig werden, warum tue ich es dann nicht? Warum warte ich, bis es kracht?

Das Argument, dass Ältere bei einem Abdrehen von Frühpensio­nen und einem höheren Pensionsal­ter Schwierigk­eiten haben, Arbeit zu finden, halten Sie nicht für stichhalti­g? Das lasse ich grundsätzl­ich so nicht gelten. Wir haben ein Problem, das Seniorität­sprinzip. Bei uns verdienen die Jungen zu wenig, die Ältern zu viel. Wir müssen die Kurve kippen, vorne erhöhen und hinten reduzieren. Das sage ich auch schon seit 20 Jahren. Dieses Projekt dauert 20, 30 Jahre. Sonst haben Sie eine Generation, die nur verliert.

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[ Roßboth ] Eine raschere Anhebung des Frauenpens­ionsalters ist eine zentrale Forderung von Industriel­lenpräside­nt Georg Kapsch.

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