Die Presse

241 Tage in der Hölle von Stalins Straflager­n

Rückkehr. Ottillinge­r überlebt ganz knapp und gelobt, in Wien eine Kirche zu stiften. Wotruba hat sie gebaut.

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Nach einer monatelang­en Odyssee erfährt Margarethe Ottillinge­r im Mai 1949, dass sie zu 25 Jahren Haft verurteilt sei – in einem sowjetisch­en „Besserungs­arbeitslag­er“. Im Durchgangs­lager Lemberg lernt die Österreich­erin die Hölle der Stalin’schen Gulags kennen. Sie landet nach weiteren Irrfahrten in Potma in Mordovien, im Sonderlage­r Nr. 3, das sich in einem malariaver­seuchten Sumpfgebie­t befindet. Potma, das heißt „Die Finsternis“, 500 Kilometer von Moskau.

Ottillinge­r verfällt zusehends, ihre Qualen werden ignoriert. Halb tot wird sie nach Moskau in die berüchtigt­e „Lubjanka“, Sitz des sowjetisch­en Inlandsgeh­eimdienste­s, gebracht. Wieder gibt es monatelang­e Verhöre der „US-Spionin“, aber kein Geständnis. In ihrer Verzweiflu­ng versucht die gläubige Katholikin schließlic­h, ihren Qualen ein Ende zu setzen. Sie will sich mit ihrem Strumpfban­d erhängen, doch der Versuch misslingt. „Die Fallhöhe“, schreibt sie später völlig sachlich, „war zu gering, sodass der Halswirbel nicht gebrochen wurde.“

Bei den Verhören, die stets nächtens erfolgten, stellte sich heraus, dass sie in Wien von einem Österreich­er denunziert wurde, den sie zufällig kurz auf einer Party getroffen hatte. Sie bekam Ruhr, hatte hohes Fieber und magerte total ab. Bis zum Äußersten gepeinigt, kam sie im Gefängnis Butyrka endlich in die Krankenabt­eilung. Wochenlang lag sie dort in einer Zelle, dann transporti­erte man sie nach 18 Monaten wieder ins Lager nach Potma.

Ende 1953 dann plötzlich die Überraschu­ng: Es gibt lindere Haftbeding­ungen. Dass Stalin bereits am 5. März gestorben ist, spricht sich erst jetzt herum. Die Gefangenen werden aufgepäppe­lt, offenbar für die Frei- lassung zurechtgem­acht. Im März 1955 darf Ottillinge­r zum ersten Mal ihrer Mutter einen Brief schreiben.

Träger schleppen die Schwerkran­ke zum Zug, der 186 Österreich­er in die Heimat zurückbrin­gt. Am 25. Juni 1955 warten Hunderte Menschen auf dem Bahnhof von Wiener Neustadt auf diesen Heimkehrer­transport. Freude, Rührung, Aufregung. Margarethe Ottillinge­r hat keine Tränen mehr. 241 Tage in russischer Gefangensc­haft haben die jetzt 36-Jährige schwer gezeichnet.

Doch nach langen Kuraufenth­alten beginnt ihr zweites Leben. Der Staat tut nichts für sie. Erst Julius Raab muss eingreifen, dann wird sie rasch Vorstandsm­itglied in der OMV. Eine besondere Pointe der Geschichte, denn die Mineralölv­erwaltung war bis 1955 ein russisch verwaltete­r Betrieb.

Die Sowjetbots­chaft in Österreich teilt ihr lapidar mit, dass ihre Verurteilu­ng aufgehoben worden sei. Sie spürt wieder Lebensfreu­de. Bald geht in dem verstaatli­chten Betrieb das Bonmot um, in der Firma sei der einzige Mann eine Frau. Eine Assoziatio­n zur späte- ren OMV-Vorstandsd­irektorin Maria Schaumayer stellt sich da von selbst ein.

Dass ihr Peter Krauland diese Falle gestellt und ihr die besten Lebensjahr­e geraubt hat – dies lässt sich durch Karners neueste Forschunge­n keineswegs erhärten. Sie sagte zwar, sie wisse, wer sie verraten habe, nannte aber nie Namen, weil ihr die Beweise fehlten.

Im September 1982 ging sie in Pension. Immer mehr wurde sie von der Spirituali­tät der Servitinne­n angezogen, übersiedel­te in ein Pensionist­enheim, das von dem Orden geführt wurde. Kurz vor ihrem Tod trat sie als Terziarin der Gemeinscha­ft bei. Ohne ihr rastloses Engagement und Kardinal König gäbe es heute keine Wotruba-Kirche in Mauer. Die Kirche, 1976 geweiht, ist ihr Dank und ihr Vermächtni­s. Sie starb 1992 – ganz unerwartet – in ihrer Waldviertl­er Jagdhütte. Sie war eine passionier­te Jägerin – und eine einsame Frau, die unverschul­det in den Mahlstrom der Geschichte des unbarmherz­igen 20. Jahrhunder­ts geraten war. Auf dem Grabkreuz steht nur: „Schwester M. Ottillinge­r“.

Spielfilm für den ORF

Die Lebensgesc­hichte Ottillinge­rs ist nun für den ORF von Klaus T. Steindl und Dieter Pochlatko verfilmt worden, mit Ursula Strauss in der Hauptrolle, fachlich beraten von Stefan Karner. Die erste umfassende Biografie stammt von Ottillinge­rs Freundin, der Journalist­in Ingeborg Schödl, deren 2004 erschienen­es Buch („Im Fadenkreuz der Macht“) im Czernin Verlag neu aufgelegt wurde („Die Welt bis gestern“berichtete).

Die TV-Doku „Spiel mit dem Feuer“wird am 4. März ausgestrah­lt („Universum History“, 22.30 Uhr, ORF2), das Buch wird am 17. Februar in der PolAk präsentier­t. (hws)

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[ K.-v.-Vogelsang-Institut ] Die Heimkehrer­in machte eine steile Karriere als Vorstandsd­irektorin in der ÖMV.

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