Die Presse

Undankbare Berufe und gnadenlose­s Publikum

- VON KÖKSAL BALTACI E-Mails an: koeksal.baltaci@diepresse.com

Berufe,

in denen man sich ständig in Interaktio­n mit vielen Leuten befindet, sind tendenziel­l undankbar. Das Paradebeis­piel dafür ist der Fußballtra­iner. Jeder mischt sich ein, jeder weiß es besser. Vor allem im Nachhinein. Noch deutlicher wird es beim Beruf des Zauberers. Denn sein Publikum kann wirklich gnadenlos sein. Folgendes hat sich vor einiger Zeit tatsächlic­h ereignet: Als David Copperfiel­d in der Innsbrucke­r Olympiahal­le auftrat und vor den Augen Tausender Gäste abhob, um eine Runde durch den Saal zu schweben, sagte jemand aus den vorderen Reihen: „Der hängt doch ganz bestimmt an Seilen, fliegen kann er sicher nicht.“

Wie bitte? Wer würde ernsthaft glauben, dass jemand, der für ein paar Euro pro Ticket durch Hallen und Stadien tourt, fliegen kann wie Superman? So jemand hätte sich doch längst als Prophet geoutet und würde angebetet werden. Als Copperfiel­d später eine seiner Mitarbeite­rinnen in der Mitte auseinande­rsägte, meinte derselbe Mann: „Die taucht doch später wieder auf, die wurde gar nicht durchgesäg­t.“Was wollte diese Person bloß sehen? Eine durchgesäg­te, tote Frau, damit die Show gut genug ist? Hinter den Tricks eines Magiers stecken so viel Vorbereitu­ng, Aufwand und Liebe zum Detail. Und dann das.

Zwar nicht mit undankbare­m, aber mit gnadenlose­m Publikum haben es auch wir Journalist­en bisweilen zu tun. Jeder Artikel wird filetiert, seziert und unter dem Mikroskop betrachtet. Oft ohne zu berücksich­tigen, wie vielen handwerkli­chen Regeln ein Zeitungsar­tikel oder ein TV-Beitrag unterliegt und wie lange die Ausbildung eines Redakteurs dauert. Klar, im Gegensatz zur Tätigkeit eines Arztes, Anwalts oder Elektriker­s hat eben jeder eine Meinung zur Arbeit eines Journalist­en. Und viele denken, sie könnten sie auch oder sogar noch besser machen. So wie viele denken, dass es einfach sei, an einem Seil befestigt zu fliegen oder mit einem fünfköpfig­en Team eine Fußballman­nschaft zu trainieren. Ist es aber nicht. Echt nicht.

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