Die Presse

Die Petibon adelt den jugendlich­en Mozart

Oper in Paris. „Mitridate, re di Ponto“fordert den Hauptdarst­ellern aberwitzig­e Kehlkopfak­robatik ab. Wie das im besten Fall klingt, demonstrie­rt Patricia Petibon im Th´eˆatre des Champs-Elys´ees;´ und auch Nachwuchs in dieser Kunst ist dort zu hören.

- SAMSTAG, 13. FEBRUAR 2016 VON WILHELM SINKOVICZ

Die Zeiten waren freilich andere: Eine Opernauffü­hrung in der Ära des musikalisc­hen Spätbarock – der anno 1770 noch lange nicht überwunden war – gehorchte anderen Gesetzen als das Musiktheat­er des angehenden 21. Jahrhunder­ts. Dessen wird man bei den verzweifel­ten Versuchen gewahr, musikalisc­he Meisterwer­ke von Händel oder frühe Geniestrei­che Mozarts zu neuem Bühnenlebe­n zu erwecken.

Wenn der Regisseur nicht ungebührli­che Bewegungso­rgien veranstalt­et, geschieht während der endlos langen Bravourari­en in der Regel nichts. Während der musikalisc­h weniger ausgiebige­n Rezitative muss das Publikum mitlesen, um den Faden nicht zu verlieren und zu ergründen, warum in der folgenden Nummer geklagt, gejubelt oder gezürnt wird.

Mit dem psychologi­sch fein gestaltete­n Musiktheat­er, das Mozart mit seinen Reifewerke­n auf den Weg bringen wird, haben frühe Versuche wie „Mitridate“, vom 14-Jährigen für Mailand komponiert, wenig zu tun. Sie spiegeln vielmehr, welch ungeheures Talent in dem kindlichen Meister schlummert­e und wie sicher er aus den Vorlagen der besten älteren Zeitgenoss­en Kapital zu schlagen wusste. So alle zwanzig Minuten blitzt dann ein Gedanke auf, der die Menschen jener Zeit staunen machen musste; und uns heute noch die Frühreife dieses Komponiste­n bewundern lässt.

Post-zivilisato­rische Desperados

Dergleiche­n ist nicht leicht zu einem konsistent­en Theaterabe­nd zu formen. Doch ist es Clement´ Hervieu-Leger´ (von der Comedie´ Francaise)¸ gelungen, ein immerhin ästhetisch­es Spiel im Spiel zu entwickeln, das aus der Atmosphäre in einem offenbar abbruchrei­fen ehemaligen Theater (Caroline de Vivaise) herauswäch­st: Ein paar post-zivilisato­rische Desperados finden das Libretto von „Mitridate“und spielen es nach. Irgendwann wird aus dem ungelenken Versuch dann Theater-Ernst.

So zwischen den Stühlen saßen ja wohl auch Mozarts einstige Interprete­n, denen es vor allem darum zu tun war, ihre KoloraturV­irtuosität zu demonstrie­ren. Wenn dann noch ein wenig Emotion und Dramatik übrig blieb, war der Opernabend schon gerettet.

Freilich: Die Kehlkopfak­robatik der damaligen Primadonne­n und Primi uomini muss exorbitant gewesen sein. Sonst hätte Mozart seinen Protagonis­ten nicht dermaßen halsbreche­rische Aufgaben gestellt, die Soprane, Kastratens­timmen und Tenöre jeweils über zwei und mehr Oktaven in allen Lagen zu aberwitzig­en Volten zwingt.

Wie das im besten Fall gewirkt haben kann, demonstrie­rt im Pariser The´atreˆ des Champs-E´lyse´es Patricia Petibon, die auch noch die vertrackte­sten Staccati bombensich­er absolviert und ihrer Stimme, je nach Stimmungsg­ehalt des Textes, in den melodische­n Bögen alle koloristis­chen Nuancen abzutrotze­n weiß, die es braucht, um Triumph, Angst, Liebessehn­en und was dergleiche­n Aufregende­s in der Oper noch verlangt wird, zum Schwingen zu bringen.

Da ist eine Wandlungsf­ähigkeit im Spiel, über die in unserem Äon wohl nur noch die besten Sopranisti­nnen gebieten. Sabine Devieilhe lässt in der Rolle der Ismene ahnen, dass solche vokale Kunstferti­gkeit auch „nachwächst“: Der Sopran der blutjungen Französin verfügt trotz aller Koloraturg­ewandtheit bereits über eine wohlig gerundete Mittellage und Tiefe: Man darf auf kommende Engagement­s gespannt sein.

Auch Myrt`o Papatanasi­u in der Hosenrolle des „guten Königssohn­s“Xiphares vollbringt ein Kunststück: Im einzigen Duett der Oper schmiegt sich ihre Stimme jener der umschwärmt­en Königin Aspasia der Patricia Petibon schmeichel­weich an. Nur in der höchsten Höhe muss der Melomane in diesem Fall ein paar kleine Abstriche machen. Im Übrigen herrscht bei allen Damen dieser Besetzung eitel Wohlklang.

Mozart verlangt viel von Mitridate

Dem bösen Buben Pharnace verleiht der Counterten­or Christophe Dumaux die rechten sinistren Töne: Bemerkensw­ert auch bei ihm die technische Beherrschu­ng der Stimme, die keine Mühe mit dem heiklen Wechsel vom Kopf- ins männliche Brustregis­ter hat. Diese Tugend braucht auch der Titelheld, den Mozart besonders reich mit Demonstrat­ionsmateri­al versorgt: Den Ansprüchen, die denen an die Primadonna in nichts nachstehen, ist wohl kein Tenor der Welt heutzutage in jener Souveränit­ät gewachsen, über die eine Petibon verfügt. Doch darf man Michael Spyres bescheinig­en, ohne Furcht und Tadel auch im Register um das hohe C herum aktiv zu werden – und jedenfalls die herrscherl­ichen Attribute wie Kraft und Entscheidu­ngsgewalt entspreche­nd eindrucksv­oll in Töne umzusetzen.

Seine Nachdrückl­ichkeit hat viel mit dem ungestümen Gestus zu tun, den Emmanuelle Haim aus ihrem Originalkl­ang-Ensemble Le Concert d’Astree´ holt. Da sind auch manche feine Klangvaleu­rs zu vernehmen; aber doch auch die Frage zu stellen, ob man zu Mozarts Zeiten in einem so großen Haus – das Pariser The´aˆtre des Champs-E´lyse´es fasst immerhin mehr Zuschauer als etwa die Wiener Staatsoper – mit einer so minimalen Streicherb­esetzung das Auslangen gefunden hätte. Zur Akkommodat­ion braucht das Ohr des Zuhörers jedenfalls Zeit, die es angesichts der notorische­n Opera-Seria-Längen ja zur Verfügung hat. Die Reise von Genieblitz zu Genieblitz versüßen immerhin etliche vokale Glanzpunkt­e.

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[ The´atreˆ des Champs-Elys´ees]´ Die Stimme Myrt`o Papatanasi­us’ als Xiphares schmiegt sich jener von Patricia Petibon (Aspasia) schmeichel­weich an.

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