Die Presse

Ein alter „Vater“verschwind­et im Labyrinth des Vergessens

Kammerspie­le. Alexandra Liedtke inszeniert Florian Zellers Drama subtil und auch beklemmend.

- VON NORBERT MAYER Als Livestream via Arte Concert ist die letzte Reprise dieser Aufführung am 20. Februar zu erleben. Im Haus davor noch am 14., 16. und 18. www.theatrecha­mpselysees.fr 16., 17., 22., 27. und 28. Februar, 20 Uhr

Wie stellt man das allmählich­e Verblassen dar, das Gespenst der Senilität? Vor einigen Jahren hat Arno Geiger über seinen an Alzheimer erkrankten Vater ein Buch mit dem treffenden Titel „Der alte König in seinem Exil“geschriebe­n. Es geht nicht ohne Rührung. Auch der Pariser Dramatiker Florian Zeller (*1979) hat sich dieses derzeit in Film und Literatur gängigen Sujets angenommen. Sein Stück „Vater“wurde 2014 mit dem Prix Moli`ere ausgezeich­net.

Am Donnerstag hatte es an den Kammerspie­len der Josefstadt Premiere, in der Übersetzun­g von Annette und Paul Bäcker. Man könnte diesen von Alexandra Liedtke inszeniert­en „Vater“auch „Der alte Mann in seinem Labyrinth“nennen. Beklemmend­e Verwirrung vermittelt sich vielschich­tig in dieser betroffen machenden Aufführung. Allein schon das Bühnenbild von Raimund Or- feo Voigt ist raffiniert: Eine Wohnung mit Wänden aus leicht gerilltem Plexiglas, hinter denen man nur Schatten erkennt, vorn zwei Räume mit fast identische­m Mobiliar (moderne Sessel und Tische) sowie eine versenkbar­e Wand aus Plexiglas an der Rampe, die als Videowand dient und zuweilen eine Figur für eine kurze Reflexion von der Wohnung ausschließ­t. In dieser scheinbar transparen­ten Flexibilit­ät, in der auch die meisten Personen austauschb­ar werden, findet sich der Kranke bald nicht mehr zurecht. Ja, dieser von Erwin Steinhauer in 90 Minuten intensiv gespielte Vater nimmt die Zuseher auf seiner Irrfahrt tatsächlic­h mit – ein Abend der Einfühlung. Die Regie ist klugerweis­e sparsam mit Ironie, arbeitet jedoch am Ende mit etwas zu viel Symbolismu­s: Da werden in Schaukäste­n Erinnerung­sstücke präsentier­t – die alte Armbanduhr, ein Kinderanzu­g, ein Fotoalbum – wie Restposten an Sentiment.

Was aber passiert zuvor mit diesem Vater namens Andre?´ Er hat offenbar eine Pflegerin verbal und körperlich attackiert, weil er sie des Diebstahls verdächtig­te. Seine Uhr ist weg! Die Pflegerin ist weg! Nun kommt Anne, seine Tochter (Gerti Drassl), um das Geschehene in einem Gespräch zu klären. Andre´ hat bereits die dritte Pflegerin vertrieben. Er weigert sich, Hilfe anzunehmen. Anne, die ihm seine Uhr finden hilft (er hat bloß vergessen, wo er sie versteckt hat), macht ihn erst schonend, dann dringend darauf gefasst, dass sie wegziehen werde aus Paris, nach London, dass der Vater also fremde Hilfe brauche.

Es wird dunkel. Nächste Szene: Die Möbel sind leicht verändert. Eine andere Frau (Therese Lohner) spielt nun Anne. Horror – nicht nur für Andre,´ sondern auch für die Zuseher ist sie also fremd, so wie sich in der Folge ihre Männer (Oliver Huether, Martin Niedermair) abwechseln. Die mutmaßen, dass Andre´ nur simuliert, schließlic­h aber verwechsel­t er alle und alles, die Wohnung der Tochter mit der eigenen und dem Heim, die neue Pflegerin (Eva Mayer) mit der toten zweiten Tochter. Steinhauer spielt eine beeindruck­ende Skala der Gefühle vor, Drassl ergänzt ihn ideal in Schattieru­ngen des Leids. Der Vater herrscht, schmeichel­t, bettelt, droht, ängstigt sich, klagt an. Am Ende wird er zum Kind, das nach der Mutter ruft. Den winzigen Anzug umarmend, verkriecht er sich in der Vitrine.

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[ Moritz Schell ] Er leidet an Alzheimer: Andre´ (Erwin Steinhauer) mit seiner Tochter Anne (Gerti Drassl).

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