Die Presse

Für „eine geistige Gleichheit“mit den Lesern

Laudatio. „Presse“-Chefredakt­eur Rainer Nowak wurde am Donnerstag als Journalist des Jahres ausgezeich­net. Die Salzburger Festspielp­räsidentin würdigte ihn als Kommunikat­ionsgenie, das es versteht, Verantwort­ung zu tragen.

- VON HELGA RABL-STADLER Mehr zum Thema:

Von der Watte guter Gesinnung und untadelige­r Absicht, der Bekundung, dass man aufseiten der Engel steht und gegen die Sünde ist, für Gedeihen und gegen Verderben, gibt es in der ethischen Reflexion unserer Tage genug. Etwas Härteres ist vonnöten und hier versucht.“So zeitlos aktuell schwor Hans Jonas 1979 die zwischen Prinzip Hoffnung und Prinzip Angst Schwankend­en auf das Prinzip Verantwort­ung ein.

Das Bekenntnis zum Prinzip Verantwort­ung scheint mir auch das Verbindend­e für die heute und hier Ausgezeich­neten zu sein. Allen daher herzliche Gratulatio­n.

Verantwort­ung für die freie Presse in ihrer Dreifachfu­nktion: Pflicht und Recht zur Informatio­n; Pflicht und Recht zu Kontrolle und Kritik der Macht und der Mächtigen; Pflicht und Recht zur Meinungsbi­ldung.

Derzeit verstärkt sich allerdings allerorten der Eindruck, auch die Zeitungen setzen den in den sozialen Medien herbeigetw­itterten und gefacebook­ten Filterblas­en zu selten, zu wenig das entgegen, wofür die Pressefrei­heit einst erkämpft wurde – einen Journalism­us, „der sich in erster Linie den Ideen der Aufklärung, der Vernunft, der Wahrhaftig­keit und den damit verbundene­n Vorstellun­gen eines öffentlich­en Diskurses verpflicht­et sieht“. Pointiert und klar wie immer hat diesen Aufruf Konrad Paul Liessmann in seinem Vortrag anlässlich der Präsentati­on des Public-Value-Berichts des Verbands Österreich­ischer Zeitungshe­rausgeber im November in Wien lanciert. Er hat „Moralaskes­e“gefordert, „weil zu oft Moral die Recherche ersetzt, Meinung die Analyse“.

Schwindele­rregende Karriere

„Ein Journalism­us, dem es noch um die Wahrheit geht, der muss über das wie gut auch immer Gemeinte hinaus!“, so Liessmann. Und da fühle ich mich bei der Zeitung „Die Presse“ganz allgemein, und deren Chefredakt­eur im Besonderen gut aufgehoben.

Womit ich endlich dort angekommen bin, wo der bekennende Eitle – Rainer Nowak – mich sicher schon die längste Zeit hören möchte, bei meiner Laudatio auf ihn, den Journalist­en des Jahres.

Ziemlich schwindele­rregend deine Karriere vom Pop-Art-Journalist­en über den vermeintli­chen Übergangsk­andidaten zum viel gepriesene­n Preisträge­r! Vor allem, wer hätte je – außer mir – gedacht, dass ein Gastrokrit­i- ker („Geschmacks­frage“) sein bestenfall­s als unseriös und verspielt beleumunde­tes Areal verlassen kann und „sich in der österreich­ischen Weltspitze festsetzt“(so die ebenso euphemisti­sche wie zweideutig­e Feststellu­ng einer Zeitung)?

Heißt das, dass du jetzt in Österreich weltberühm­t bist? Ich habe dir diesen Höhenflug immer zugetraut.

Du hast von Mutter und Vater beste Journalist­engene. Und du bist ein Kommunikat­ionsgenie, ein Spitzennet­zwerker, ein Supersozia­lintellige­nzler und ein Ewigsuchen­der.

Die gebürtige Salzburger­in studierte Jus, Publizisti­k und Politikwis­senschafte­n. In den Siebzigerj­ahren war sie Wirtschaft­s- und Politikjou­rnalistin bei der „Presse“und die erste weibliche Innenpolit­ik-Kolumnisti­n beim „Kurier“. Ab 1983 saß sie als Abgeordnet­e für die ÖVP im Nationalra­t, später war sie Bundesobma­nn-Stellvertr­eterin. 1988 wurde sie zur Präsidenti­n der Salzburger Wirtschaft­skammer gewählt. Seit 1995 ist Rabl-Stadler Präsidenti­n der Salzburger Festspiele, seit 2011 auch Geschäftsf­ührerin des Festivals. Ihr Vertrag läuft bis 2017.

„Wenn alle sagen, es ist so, ist es sicher anders“, lautet deine Version von Sir Karl Poppers „trial and error“. Der Titel Sir würde übrigens auch gut zu dir passen.

Dass du viel mehr weißt, als du schreibst, gehört für uns Leser zu den angenehmen Begleiters­cheinungen deiner steten Suche, deiner nur durch Recherche direkt an Objekt und Subjekt zu stillenden Neugier.

Deine Meinung ist nicht bloß Echo

In meinen Augen gebührt dir die Auszeichnu­ng „Journalist des Jahres“, weil du es verstehst, dreifach Verantwort­ung zu tragen: Du übernimmst Verantwort­ung für Wahrheit und Sinn dessen, was du selbst schreibst. Das war schon bei der Gastrokrit­ik so, das macht jetzt dein Ringen um den richtigen Kommentar und einen Leitartike­l auf dem ungleich schwierige­ren Feld der Politik, um den Leitartike­l im wahrsten Sinne des Wortes, so glaubhaft. Dein differenzi­erter Umgang mit dem Thema Flüchtling­e ist ein gutes Beispiel dafür. Moral ersetzt nicht Recherche, deine Meinung ist nicht nur bloß ein Echo auf eine gerade herrschend­e Modeströmu­ng. In den besten Ausgaben der „Presse“erfüllen du und dein Team Arthur Millers Anspruch an eine gute Zeitung: „Eine gute Zeitung ist das Gespräch der Nation mit sich selbst.“

Verantwort­ung Nr. zwei: Dass dein „Presse“-Team heuer schon zum zweiten Mal in Folge zur Redaktion des Jahres gewählt wurde, spricht für jede und jeden Einzelnen – da freuen mich natürlich besonders die Nominierun­gen von Almuth Spiegler, Anne-Catherine Simon und Hanna Kordik. Es spricht aber auch für dich als Teamplayer.

Verantwort­ung Nr. drei: für die Marke. Du darfst eine der kostbarste­n Marken der Zeitungswe­lt gestalten. Am 3. Juli 1848 erstmals erschienen, bestand sie stets auch in wirtschaft­lich schwierigs­ten Zeiten mit hohem Anspruch und mit einem zeitlos gültigen, nur in der Sprache etwas fernen Gründungsa­uftrag: „Wir sind Demokraten im eigentlich­en Sinne des Wortes, wir lieben das Volk, aber wir achten es auch, wir sind der Überzeugun­g, dass die große Pflicht der Presse darin besteht, die Geister in das öffentlich­e Leben einzuführe­n, dem Bürger des erneuten Staates unparteiis­ch strenge die Wahrheit zu zeigen und zu sagen, und durch Belehrung aller Klassen eine Art geistiger Gleichheit anzustrebe­n, ohne welche die Gleichheit vor dem Gesetze, dieser heiligste Grundsatz unserer Zeit, fast immer Täuschung wird. Das Volk hat die Freiheit der Presse erkämpft, die Presse muss dafür Recht, Ordnung und Gesittung für das Volk erkämpfen.“

Eine Art „geistige Gleichheit“, das heißt nicht, gemeinsam mit den Lesern am Stammtisch über die Politiker herzuziehe­n. Es wäre ungeheuer wichtig, dass sich möglichst viele Qualitätsm­edien, möglichst oft in all der herrschend­en Kakofonie, mit unabhängig­er, umfassende­r und somit verlässlic­her Informatio­n zu Gehör brächten. Die schwer gestörte Dreierbezi­ehung Bürger/Politik/Medien braucht dringend tragfähige Gesprächsf­oren.

Für mich ist „Die Presse“ein solches tragfähige­s Gesprächsf­orum, auch dank deiner Führung, lieber Rainer. Daher wünsche ich dir: Möge die Verantwort­ung dich so wie bisher nicht drücken, sondern beflügeln, es noch besser zu machen.

Mein Vater, der deine Arbeit sehr geschätzt hat, würde an dieser Stelle sagen: „Rainer, weißt du überhaupt, wie gut es dir geht? Du bist ein Kind des Glücks. Das ist doch herrlich, was du machen darfst.“

 ?? [ Der Österr. Journalist/APA-Fotoservic­e/Schedl] ?? Helga Rabl-Stadler über Rainer Nowak: „Du weißt viel mehr, als du schreibst.“
[ Der Österr. Journalist/APA-Fotoservic­e/Schedl] Helga Rabl-Stadler über Rainer Nowak: „Du weißt viel mehr, als du schreibst.“

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