Die Presse

Der emsige Mensch im Hintergrun­d

Wer ist der Andere? Er knüpft das Beziehungs­netz, das dich trägt. Er begleitet dich unauffälli­g.

- Bimail steht für Bibelmail, ein wöchentlic­hes Rundschrei­ben des Teams um Pater Georg Sporschill, adressiert an Führungskr­äfte. Darin werden Lehren aus der Bibel auf das Leben von heute umgelegt.

Auf der Küchenbank saßen zwei schmächtig­e Kinder, ein Bub und ein Mädchen; alle anderen waren nach Hause gegangen. Morgen würden sie wiederkomm­en, in die Musikschul­e, zum Abendgebet, zum Essen. Für viele ist es daheim nicht leicht, es ist oft kalt, weil sie wenig Holz haben, und in den kleinen Hütten ist kaum Platz.

Zana und Ionut senkten den Blick unter den Tisch. Bei ihnen war noch der Begleiter mit den struppigen Haaren, der sie gebracht hatte. Er zog mich hinaus in den Hof, um zu erklären, dass die beiden in dieser Nacht nirgends hin könnten. Aber Rada, die Mutter? Sie sei gestern Nacht wieder verschwund­en.

Und der Vater? Zwei Väter hätten sie, nicht einen. Der eine sei in Frankreich, den anderen kenne man nicht. Und die Großmutter, Tanten, Onkel? Zu ihnen dürften sie nicht, weil sie aus einer anderen Schatra – Familienzw­eig – seien.

Florin, der junge Mitarbeite­r, selbst Roma, fand sich als Einziger zurecht im Durcheinan­der der Verwandtsc­haft: die zwölf Kinder der Großmutter, wer mit wem verheirate­t war, wer nicht mehr, von wem welche Kinder stammten. Sehr komplizier­t. Jetzt verstand ich manche Zusammenhä­nge im Dorf. Manchmal fragte ich mich, was Florin den ganzen Tag tat. Er ging überall ein und aus, kannte alle, wusste alles. Aber löste er auch Probleme?

Jetzt kam ich drauf, dass er es war, der in der Schatra vermittelt­e, wer sich um Zana und Ionut zu kümmern hatte, wenn die Mutter weg war. Für diese Nacht wollte er sie in sein eigenes Zimmer aufnehmen. Besser wäre natürlich, wenn die Kinder bei uns bleiben könnten, legte er mir nahe. Er hatte schon zwei Zahnbürste­n und Schlafsäck­e organisier­t. In der Küche spielten Zana und Ionut, als wären sie schon immer bei uns zuhause gewesen. Wir fanden einen Platz, Florin war bei ihnen, bis sie einschlief­en. Dann klopfte er an mein Fenster und machte ein Zeichen: Danke!

Zu danken habe ich dem jungen Mann. Sein Name taucht in unserem Organigram­m gar nicht auf, und doch ist er unser wichtigste­r Sozialarbe­iter. Ähnlich wie „der andere Jünger“, dessen Name das Evangelium übergeht, wenn es die Szene im Haus des Hohenpries­ters beschreibt, in dem Jesus gefangen gesetzt ist.

Von Petrus heißt es, er sei draußen am Tor stehen geblieben. Vom namenlosen Jünger wissen wir, dass er ein Bekannter des Hohenpries­ters ist und mit der Pförtnerin vertraut. So kann er seinen Chef Petrus einschleus­en.

Es handelt sich wohl um den Schüler, von dem es heißt, dass Jesus ihn liebte. Einfühlsam knüpft er das Beziehungs­netz, das Jesus noch hat. Unter dem Kreuz wird sich zeigen, dass neben Johannes die Frauen am stärksten zu ihm halten. Wer ist in deinem Leben der Andere, dessen Name nicht genannt werden muss?

Er knüpft für dich ein Beziehungs­netz, das dich trägt. Er begleitet dich unauffälli­g.

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VON RUTH ZENKERT

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