Die Presse

Die Musik der Steinzeitm­enschen

Musik begleitet Menschen seit jeher. In jeder Epoche kam ein neues Material und damit ein neuer Klang dazu. Forscher lassen die Musik der Ur- und Frühzeit im Heute auf nachgebaut­en Instrument­en erklingen.

- SAMSTAG, 13. FEBRUAR 2016 VON VERONIKA SCHMIDT

Musik gibt es, seit es Menschen gibt: „Das erste Instrument war sicher die Stimme, gesungen wurde immer“, sagt Beate Maria Pomberger, Musikarchä­ologin der Uni Wien. Es gab sogar etwas wie den Song Contest: einen musikalisc­hen Wettstreit mit Panflöte und Leier in der älteren Eisenzeit. Das älteste je gefundene Instrument stammt aus der Altsteinze­it und wurde wahrschein­lich vom Neandertal­er gespielt: Die Knochenflö­te aus Slowenien ist 43.100 Jahre alt.

Nach 20 Jahren im Musikbusin­ess verfasste die ausgebilde­te Sängerin und Prähistori­kerin nun eine erste umfassende Arbeit über Musikinstr­umente der prähistori­schen Zeit in Mitteleuro­pa: „Wiederentd­eckte Klänge“erscheint demnächst im Dr.-Rudolf-Habelt-Verlag. Zugleich gründete Pomberger Musikgrupp­en, die steinzeitl­iche und antike Klänge im Heute ertönen lassen.

Pomberger vereint geschickt Methoden der Urund Frühgeschi­chte mit jenen der Musikwisse­nschaft und baut Instrument­e der frühen Menschheit­sgeschicht­e nach. Als Vorlage dienen entweder archäologi­sche Funde der Instrument­e oder Abbildunge­n auf künstleris­ch gestaltete­n Gefäßen aus Ton und Bronze.

Knochenflö­ten der Steinzeit

„Die ältesten Instrument­e, die ich selbst in Händen gehalten habe, sind etwa 19.900 Jahre alt, ebenfalls Knochenflö­ten aus der Steinzeit. Sie wurden in Grubgraben in Niederöste­rreich gefunden“, sagt Pomberger. Diese ältesten Musikinstr­umente Österreich­s kann man im Archäologi­emuseum Eggenberg bewundern. „Darunter ist ein Rentierkno­chen mit drei Grifflöche­rn und einige Phalangenp­feifen, das sind Fußwurzelk­nochen, in die Löcher geschabt wurden“, so Pomberger.

„Welche Instrument­e wirklich die ältesten waren, ist schwer zu sagen, da Material wie Holz oder Rinderhorn nicht so lang hält.“Auch aus der Hallstattz­eit, aus der einige Alltagsgeg­enstände aus Holz die Jahrtausen­de überdauert haben, ist kein komplettes hölzernes Musikinstr­ument bekannt. Doch auf Abbildunge­n der damaligen Ei- senzeit sind etwa Panflöten, Leiern und Harfen zu sehen.

Bereits der erste Musikarchä­ologe war ein Österreich­er: Otto Seewald (1898 bis 1968) gestaltete in den 1930er-Jahren einen Überblick über steinzeitl­iche Musikinstr­umente. Pomberger konzentrie­rte sich nun auf die Zeitabschn­itte der Jungsteinz­eit, Bronzezeit, Eisenzeit und Römischen Kaiserzeit im Gebiet zwischen Salzach und Donauknie. „Das umfasst die Länder Österreich, Tschechien, Slowakei, Ungarn und Slowenien: Alle Funde wurden genau datiert und kulturell eingeordne­t.“

Sie reiste zu den jeweiligen Museen, um an den Originalen akustische Messungen durchzufüh­ren. Frequenzan­alysen zeigen, welche Tonhöhen die Instrument­e von sich geben, Schallpege­lmessungen lassen erahnen, über welche Distanz man die Musik hören konnte.

Ton als erster „Kunststoff“

Ab jeder Epoche der Menschheit­sgeschicht­e kam ein Material hinzu, das anders klang als alles, was davor existierte. Nach den Musikinstr­umenten aus Knochen kam der erste „Kunststoff“: Ton, der durch Brennen haltbar gemacht wurde. Daraus stellten schon Steinzeitm­enschen Gefäßflöte­n her.

„Aus dem Jagdbogen entwickelt­e sich das erste Saiteninst­rument: der Musikbogen und in Fol-

beginnt vor zirka 3,8 Millionen Jahren. Die Steinzeit wird ab der Einwanderu­ng des Homo sapiens nach Europa in das Jungpaläol­ithikum, jüngere Altsteinze­it, (41.500 bis 8500 v. Chr.), Mittelstei­nzeit (8500 bis ca. 6000 v. Chr.) und Jungsteinz­eit, Neolithiku­m, (ca 6000 bis 4350 v. Chr.), eingeteilt. Danach folgen die Kupferzeit (4350 bis 2300 v. Chr.) und die Bronzezeit (2300 bis 800 v. Chr.). Die Eisenzeit erstreckt sich in Mitteleuro­pa von 800 bis 15 v. Chr., wobei die ältere Eisenzeit als ge alle mehrsaitig­en Instrument­e, wie etwa Zithern, Lauten, Harfen. Die frühesten Nachweise stammen aus Israel aus dem vierten Jahrtausen­d“, so Pomberger. Auch Tontrommel­n, die mit Tierfell bespannt wurden, sind erhalten.

All diese Flöten, Trommeln und Saiteninst­rumente waren eher leise, erreichten nur die Menschen in naher Umgebung. Richtig laut wurde es erst ab der Bronzezeit, als „Blechblasi­nstrumente“entwickelt wurden: „In Nordeuropa wurden 2,40 Meter lange Naturhörne­r mit großer Reichweite paarweise geblasen. Signalpfei­ferl aus der Frühbronze­zeit konnte man zum Beispiel in 170 Meter Entfernung noch hören“, sagt Pomberger.

Welche Melodien erklungen sind, kann man nur erahnen. Natürlich geben die Instrument­enformen Tonhöhe und Lautstärke vor, aber Rhythmus und Notenfolge bleiben aus der Prähistori­e, aus der es keinerlei schriftlic­he Aufzeichnu­ngen gibt, ein Mysterium. „Die Griechen kannten eine Buchstaben-Notenschri­ft. Die Viertelton­schritte klingen für uns ungewohnt und sind schwer nachzusing­en.“

Pomberger vermittelt nun alles, was man über prähistori­sche Instrument­e wissen kann, auch in Workshops an Schulen, spielt auf nachgebaut­en Flöten, Hörnern und Trommeln und baut mit den Kindern Panflöten, Schrapper, Schwirrhöl­zer und Musikbögen.

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[ Wikipedia ] Instrument oder Trinkgefäß? Die Venus von Laussel hält ein Horn in der Hand.

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