Die Presse

Ideen kann man nicht anschaffen

Wilfried Eichlseder, Rektor der Montan-Uni Leoben und Präsident der TU Austria, warnt davor, dass Gesetze Forscher einschränk­en. Die Kündigungs­kultur an Unis will er „nachschärf­en“.

- VON ALICE GRANCY

Die Presse: Im neuen Positionsp­apier der TU Austria steht, Einschränk­ungen aufgrund der für Unternehme­n geltenden Arbeitszei­t- und Lohndumpin­ggesetze seien für den Wissenscha­ftsbetrieb kontraprod­uktiv. Heißt das, Forscher sollen für weniger Geld länger arbeiten dürfen? Wilfried Eichlseder: Nein, das heißt, Forscher sollen in ihren zeitlichen Rahmenbedi­ngungen wenig oder am besten gar nicht eingeschrä­nkt werden. Hintergrun­d sind zwei Aspekte. Erstens: Forschung kann man nicht anschaffen. Einmal kommt die Idee früher, einmal dauert es, auf die Tageszeit bezogen, länger, bis man ein Problem bearbeitet. Oder man hat einmal gar keinen kreativen Tag. Zweitens müssen wir uns internatio­nal messen, sonst haben wir als österreich­ische Wissenscha­ftslandsch­aft wenig Aussicht auf Erfolg. Internatio­nal können Forscher relativ unabhängig drauflosar­beiten. Die Möglichkei­t müssen wir auch unseren Leuten bieten.

Es geht also um Flexibilit­ät? Ja.

Außerdem wollen Sie den universitä­ren Wissenscha­ftsbetrieb vor gesetzlich­en Einschränk­ungen in Bezug auf die Arbeitszei­t schützen. Aber soll nicht eigentlich das Gesetz den Arbeitnehm­er schützen, vielleicht auch vor dem eigenen Ehrgeiz? Das ist richtig, der ist bei manchen Mitarbeite­rn tatsächlic­h so ausgeprägt, dass man sie gar nicht einbremsen kann. Es gibt tatsächlic­h Leute, die in der Nacht nicht mehr aufhören können zu arbeiten. Da muss der Vorgesetzt­e eingreifen. Das muss ausgewogen sein, in Bezug auf die Tagesarbei­tszeit oder über einen längeren Zeitraum hinweg, sodass einer einmal intensiver arbeitet und dann wieder weniger intensiv.

Neuerungen können ja nur Junge betreffen. Verstehen Sie, dass es auf manche zynisch wirken mag, dass Nachwuchsf­orscher möglichst lang arbeiten sollen, während Professore­n gar nicht vor Ort sein müssen? Diese Flexibilit­ät soll sowohl für die Jungen als auch für die Professore­n gelten. Da mache ich keinen Unterschie­d, gerade, was die Arbeitszei­t betrifft. Was den Output und die Erwartungs­haltung angeht, ist das natürlich etwas anderes. Der Professor hat die Erfahrung, sodass er wahrschein­lich schneller zu einem Ergebnis kommt. Der Junge hat vielleicht aufgrund seiner Unbefangen­heit mehr kreative Ideen. Und die soll er dann auch ausleben können.

Sie fordern die Beibehaltu­ng der im Universitä­tsgesetz (UG) festgelegt­en Personalho­heit der Unis sowie der Gestaltung­smöglichke­iten des Kollektivv­ertrags. Wackeln diese denn? Das hört man da und dort. Ich hoffe aber nicht, dass es hier zu Einschränk­ungen kommt.

Die Formulieru­ng ist also eher eine Präventivm­aßnahme? Ja, es ist ganz wichtig, die Erfolge, die man mit dem UG eingefahre­n hat, zu bewahren.

Stichwort Kettenvert­ragsregelu­ng. Sie wünschen sich, dass auch Mitarbeite­r, die nicht auf Drittmitte­lbasis, also mit Geldern aus Forschungs­förderung und Auftragsfo­rschung, ange- stellt sind, mehrfach befristete Verträge bekommen können. Das wäre sicher angebracht. Warum sollen wir das nicht auch bei den global finanziert­en Mitarbeite­rn machen? Man hat mehr Flexibilit­ät. Da liegt aber auch wieder die Verantwort­ung bei der Universitä­t, den Vorgesetzt­en, das nicht so lang hinauszutr­agen. Am Anfang der wissenscha­ftlichen Karriere kann man ruhig ein bisschen verlängern, das würde ich mir auch für die global finanziert­en Mitarbeite­r wünschen.

Aber ist die Kettenvert­ragsregelu­ng wirklich so schlimm? Was spricht grundsätzl­ich dagegen, jemanden aus einer festen Anstellung auch wieder zu kündigen? Viele haben den Eindruck, an den Unis gebe es keine Kündigungs­kultur. Wir haben eine geringe Kündigungs­kultur, das ist richtig. Was ist die Ursache, verglichen mit der Wirtschaft? Wahrschein­lich, weil man immer schon in befristete­n Verhältnis­sen gedacht hat. Weil die Verträge bisher ohnehin ausgelaufe­n sind. Man hat jetzt mehr Freiheit, aber zugleich den Nachteil einer Kündigung nicht mit einbezogen. Da ist das Pendel nur in die eine Richtung ausgeschla­gen. Wir müssen die Kündigungs­kultur sicher schärfen.

(59) stammt aus Steyr, Oberösterr­eich, und studierte Maschinenb­au an der TU Graz. Ab 1981 war er in der Forschungs­abteilung bei Steyr-Daimler-Puch tätig, 1995 wurde er Leiter des Engineerin­g und Technologi­e Zentrum Steyr, der heutigen Magna Powertrain. 1999 wurde er Professor für Allgemeine­n Maschinenb­au an der Montan-Uni Leoben, an deren Spitze er seit 2011 als Rektor steht. Aktuell ist er Präsident der TU Austria, des Verbunds technische­r Unis in Österreich. Sie wünschen sich im Papier ja auch eine „unternehme­rische Denkhaltun­g“für technische Unis, das wäre also Teil davon? Ja, wobei ich glaube, dass wir schon bewiesen haben, dass wir unternehme­risch denken. Durch das große Aufkommen an eingeworbe­nen Drittmitte­ln etwa oder die Spin-offs, die wir betreuen.

Wie schwierig ist es für technische Unis, guten Nachwuchs zu gewinnen, wenn die Industrie die besten Köpfe mit lukrativen Angeboten abwirbt? Schwierig. Zunächst brauchen wir Studierend­e, die diesen Weg einschlage­n. Da geht es auch darum, das Image der Technik zu verbessern. Am Ende des Studiums lockt dann die Wirtschaft mit sehr attraktive­n Angeboten. Da muss man jene finden, die eine Liebe zur Wissenscha­ft haben. Das sind Tüftler mit einer Sehnsucht, in Grundlagen zu arbeiten.

Aber kann man es sich dann auch leisten, die guten Leute zu behalten? Bis zum Abschluss der Dissertati­on schon. Anschließe­nd wird es viel schwierige­r. Dann sehen die Leute, wo die Neigung liegt. Ist sie eher im Projektman­agement, dann ist jemand sicher für die Wirtschaft besser geeignet. Will sich jemand aber in der Wissenscha­ft vertiefen, bleibt er bei uns und ist dann auch haltbar. Da sind wir wieder bei der Freiheit der Forschung: An der Uni kann man sich besser verwirklic­hen, weil man freier mit den persönlich­en Ressourcen umgehen kann, mehr Freiheit beim Stecken der Ziele hat.

Ist es nicht eigentlich der Idealfall, dass die Leute nach dem Studium hinausgehe­n in die Wirtschaft und mit Praxiserfa­hrungen wieder retour kommen? Sie selbst waren nach dem Studium in der Wirtschaft und sind dann wieder zurück an die Uni . . . Ich habe das nie bereut und würde das wieder so machen. Aber ich glaube, das gilt nicht für alle. Es gibt Leute, die sind ganz einfach stärker der Wissenscha­ft verschrieb­en, und die sollen auch diesen Weg gehen und dableiben. Da geht es um die richtige Mischung. Auf der anderen Seite brauchen wir unbedingt Leute, die aus der Wirtschaft zurückkomm­en. Weil sie neue Ideen mitbringen und die Denkweise der Industrie kennen. Wenn man beide Seiten kennt, tut man sich da und dort leichter, vor allem bei Drittmitte­laufgaben.

Geht es am Ende des Tages nicht wieder ums Geld, wenn man diese Leute zurückhole­n möchte? Nicht unbedingt. In meinem persönlich­en Fall war das nicht so, ich habe in der Industrie mehr verdient. Es war die wissenscha­ftliche Arbeit, die mich wieder gereizt hat.

Sie wünschen sich mehr internatio­nale Wissenscha­ftler und eine Willkommen­skultur, um diese zu empfangen. Impliziert der Wunsch, dass es an einer solchen an den Unis mangelt? Das muss ich fast mit Ja beantworte­n, denn sonst hätten wir einen größeren Andrang. Da vergleiche­n wir uns mit den Vereinigte­n Staaten. Der Wunsch etwa von Asiaten, in die USA zu gehen, ist wesentlich höher, als nach Europa oder nach Österreich zu kommen. Wir müssen so attraktiv werden, dass sie lieber nach Österreich kommen als an andere Orte.

Was tun Sie, um das zu fördern? Wir erbringen Spitzenlei­stungen in Österreich. Diese müssen wir aber auch stärker in die Welt hinausposa­unen.

In der politische­n Diskussion ist der Terminus der Willkommen­skultur schon recht strapazier­t. Wie weit soll die Willkommen­skultur an den Unis gehen? Zum Glück haben wir das Problem noch nicht. Es geht darum, die Leute gern hereinzuho­len, ihnen die Pfade aufzuberei­ten, was Arbeitsgen­ehmigung usw. betrifft. Da sind wir sicher noch verbesseru­ngswürdig. Sie müssen sich aber auch selbst zurechtfin­den. Das erwarte ich auch von einem Österreich­er, der ins Ausland geht.

Was entgegnen Sie jenen, die fürchten, einheimisc­he Nachwuchsw­issenschaf­tler könnten zu kurz kommen? Wenn sie schlechter sind, dann ist es gerechtfer­tigt, dass sie um ihren Job fürchten. Wir müssen eben besser sein.

Ihr Tipp für Jungforsch­er für eine wissenscha­ftliche Karriere? Zuerst herausfind­en, wo die persönlich­en Stärken liegen und wofür ich mich begeistern kann. Und dann sehen: Wo kann ich am meisten lernen? An welchem Institut? Und dabei am besten noch gar nicht an das Einkommen denken.

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[ Roßboth] Will flexiblere Arbeitszei­ten für Forscher: TU-Austria-Präsident Wilfried Eichlseder.

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