Die Presse

Den Nierengift­en auf der Spur

Die französisc­he Wissenscha­ftlerin erforscht an der Medizinisc­hen Universitä­t Innsbruck an isolierten Nierenzell­en die Giftigkeit von Stoffen.

- VON UWE SCHWINGHAM­MER Alle Beiträge unter:

Von Innsbruck wusste die 31-jährige Französin Alice Limonciel eigentlich nichts. Nur, dass es an der dortigen Medizin-Uni ein PhD-Thema gab, das sie interessie­rte: „Ich habe nachgescha­ut, was die Arbeitsgru­ppe von Assistenzp­rofessor Paul Jennings hier macht, und habe sonst nichts gewusst über die Stadt oder die Universitä­t. Aber sein Projekt war genau das, was ich machen wollte. Ich wollte zurück zur Molekulart­oxikologie.“

So kam die Biologin vor nunmehr bereits sieben Jahren nach Tirol. Den PhD hat sie inzwischen in der Tasche. Heute erforscht sie den Mechanismu­s, warum Chemikalie­n giftig wirken, an In-vitro-Modellen von Nierenzell­en. Im November erhielt sie dafür in Brüssel den renommiert­en Long-Range Research Initiative (LRI) Innovative Science Award. Mit einem Preisgeld von 100.000 Euro ist das eine der höchstdoti­erten Förderunge­n Europas, mit der Leistungen von Jungforsch­ern im Bereich Umwelt und Gesundheit ausgezeich­net werden. Für Limonciel ist diese Förderung eine große Erleichter­ung: „Damit habe ich mich für das nächste Jahr selbst finanziert.“Denn wie so viele Wissenscha­ftler muss sie sich von Projekt zu Projekt „hanteln“.

Stresstest für die Zellen

Bei Limonciels Forschung geht es darum, an Modellen von isolierten Nierenzell­en herauszufi­nden, welche Stoffe für dieses Organ giftig sind. Die Zellen werden in Kulturscha­len gezüchtet. „Die Nierenzell­en werden Chemikalie­n ausgesetzt, dann schauen wir, welche Stressreak­tionen dadurch hervorgeru­fen werden. Und wir versuchen zu erforschen, welche Gene für die Reaktion verantwort­lich sind“, erklärt Limonciel. Erste Ergebnisse gibt es bereits. Nun geht es darum, das Modell „robuster und reproduzie­rbar“, also letztlich auch industriel­l nutzbar zu machen.

Diese Forschung wurde in großen europäisch­en Programmen angestoßen, das der- zeit aktuelle läuft unter dem Namen EU-ToxRisk. Die Gruppe um Assistenzp­rofessor Jennings in Innsbruck hat sich dabei auf die Niere spezialisi­ert, ein Großteil der anderen Forscher in Europa konzentrie­rt sich auf Leber oder Gehirn.

Einerseits wird dabei eben untersucht, welche Chemikalie­n wie auf die Niere wirken. Anderersei­ts erfahren die Wissenscha­ft- ler mehr über die Funktion der Zellen. Für Limonciel ist die Niere deshalb interessan­t, weil sie ein ganz besonderes Organ ist: „Die Niere ist nicht selbstrege­nerativ. Das heißt, sie wird mit zunehmende­m Alter immer schlechter und in ihrer Funktion eingeschrä­nkt. Bestimmte Medikament­e und Chemikalie­n beschleuni­gen diesen Prozess.“Daher sei es wichtig zu wissen, welche Chemikalie­n dafür verantwort­lich seien, um zu verhindern, dass die Niere frühzeitig an das Ende ihres Funktionsz­yklus komme. Denn dies kann die Lebensqual­ität stark einschränk­en und im schlimmste­n Fall sogar lebensbedr­ohend sein.

Jungwissen­schaftleri­n Limonciel: „Früher hat man bei Versuchen nur geschaut, ob eine Zelle tot oder lebendig war, wenn man sie Chemikalie­n ausgesetzt hat. Aber wenn wir den molekulare­n Mechanismu­s einer Vergiftung in lebenden Zellen verstehen lernen, dann kann uns das helfen vorherzusa­gen, ob Chemikalie­n bei längerer Einwirkung Organschäd­en oder Krankheite­n verursache­n.“

Langfristi­ges Ziel ist es, durch In-vitroModel­le verschiede­ner Organe keine Tierversuc­he in der Pharma- und Kosmetikin­dustrie mehr zu benötigen. Mit dem Vorteil, dass den Tieren leid erspart wird und überdies Experiment­e an menschlich­en Zellen aussagekrä­ftigere Daten liefern. „Tiere können durch die Unterschie­de der Arten nicht alle speziell menschlich­en Eigenschaf­ten abbilden, die Verwendung von menschlich­en Zellen könnte dieses Problem aber lösen“, sagt Limonciel. „Außerdem ist ein Tier ein ganzer Organismus, und man kann derzeit nur so feststelle­n, wie bestimmte Stoffe auf diesen ganzen Organismus wirken. Bei In-vitro-Human-Modellen kann man das im Moment erst für bestimmte Organe sagen.“

Irgendwann sollen diese Daten der einzelnen Organe allerdings in In-vitro- und Computermo­dellen zu einem großen Ganzen zusammenge­führt werden, um in der Industrie Verwendung zu finden und Wirkungen im Körper vorhersage­n zu können. Ein Meilenstei­n wäre dies auch für die „personalis­ierte Medizin“, denn Pharmazeut­ika könnten dann ganz genau auf den einzelnen Menschen, dem Zellen entnommen wurden, abgestimmt werden.

Alice Limonciel ist jedenfalls fest entschloss­en, nach dem Auslaufen des LRI-Grant in rund einem Jahr genau dort weiterzuma­chen.

wurde 1984 in Cagnes-sur-Mer, Frankreich, geboren. Sie studierte Life Sciences an der Universitä­t Nizza Sophia-Antipolis und Biochemie am dortigen Polytechni­kum. Dort kam sie mit dem Thema Molekulart­oxikologie in Kontakt. Nach einem Auslandsau­fenthalt in Utrecht, Niederland­e, kam sie für ihren PhD 2009 nach Innsbruck. Seither forscht sie im Team von Paul Jennings an der Med-Uni.

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