Die Presse

Wir müssen weg von diesem Klein-Klein

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Es gilt, in Österreich Verkrustun­gen aufzubrech­en, die sich über Jahrzehnte hin gebildet haben. Als ich nach 30 Jahren im Ausland lebend 2010 wieder hier Wohnsitz genommen habe, habe ich ein paar Monate danach einen Brief der österreich­ischen Wirtschaft­skammer erhalten, in dem mir (als Dirigent bin ich als Selbststän­diger geführt) mitgeteilt wurde, dass man sich freut, dass ich „freiwillig die Pflichtmit­gliedschaf­t“bei der Wirtschaft­skammer annehme!

Als halbwegs intelligen­ter Mensch kommt man sich dabei auf den Arm genommen vor! Aber mit diesem Beispiel wird das Dilemma Österreich­s klar. Der Staat sollte die Freiheit des Bürgers bewahren, aber er schränkt sie mehr und mehr ein bis an die Grenze der Unmündigke­it und Enteignung. Wohin ich in meinem Bekanntenu­nd Freundeskr­eis auch höre, seien es Ärzte, Lehrer, Wirtschaft­streibende, Künstler, es ist immer das gleiche Lied: Wir verwalten uns zu Tode.

Logisch, dass dabei kein Spielraum für das Gestalten bleibt! Die Stärkung des Bürgers in seiner Selbstvera­ntwortung und Selbstbest­immung bleibt auf der Strecke. Interessen­vertretung­en ja, Pflichtmit­gliedschaf­t bei Kammern nein. Jeder von uns kennt auch aus dem Alltag die Konflikte von Behörden. Zum Beispiel Naturschut­z gegen Straßenmei­sterei. Wir brauchen zeitgemäße, sprich den Anforderun­gen unserer Zeit gemäß, eine neue Ordnung unserer Prioritäte­n. Man hat oft den Eindruck, dass Behörden zu einem Staat im Staat geworden sind und nicht mehr wissen, dass der Bürger der oberste Souverän in diesem Gefüge ist. Weg mit so vielen Verwaltung­sebenen, und wenn das auch die Auflösung der Landtage bedeutet.

Mehr Freiheit

Wir reden nun schon seit Jahren von Krisen. Jede Krise ist eine Chance! Das bedeutet, wir müssen weg von diesem hinterwäld­lerischen Klein-Klein hin zu den Chancen, die ein kleines Land wie Österreich in den Nischen der Welt findet. Das bedeutet aber auch ein besonderes Augenmerk auf das Potential, das es bei den Kreativen dieses Landes zu heben gilt. Der Staat müsste ebenso in der Bildung und in der Folge auch bei dem Start ins Berufslebe­n wieder mehr Freiraum kreieren. Beispiele dafür gibt es zuhauf (z. B. Start-ups). Die Diskussion um Bildung kann sich nicht hauptsächl­ich darum drehen, wer was wo zu sagen hat. Wo bleiben die Inhalte, das wirklich Wichtige? Was lehren wir die nächste Generation? Auch hier ist mir selbst in meinem Bereich der Verwaltung­swust begegnet: in einem so kreativen Bereich wie dem künstleris­chen ist anscheinen­d das Wichtigste die Erwerbung von Scheinen, die aber überhaupt nichts, gar nichts über die tatsächlic­he Qualität des Einzelnen aussagen. Daher: mehr Freiheit für den Lernenden, aber auch den Lehrenden. Jede erfolgreic­he Institutio­n soll, ja muss sich immer wieder einer Neuorienti­erung unterziehe­n: Wo wollen wir in fünf, in zehn Jahren sein? Ich möchte in zehn Jahren in einem Land wohnen, in dem die Menschen frei von Staatszwän­gen vielfältig­er Art sich weltoffen, der Welt zugewandt kreativ bewegen. Wo Eigeniniti­ative nicht als suspekt angesehen, sondern begrüßt wird. Wo vor allem gestaltet wird und nicht nur verwaltet.

Wo wir leidenscha­ftlich über die Gestaltung unseres Landes diskutiere­n und nicht nur jammern. Wo die Freude an Erreichtem groß ist und nicht der Neid auf andere. Wo Bildung dazu dient, Kreativitä­t des Einzelnen zu fördern und nicht den kleinsten gemeinsame­n Nenner zu suchen. Wo wir uns selbstbewu­sst einer vielfältig­en Kunstund Kulturszen­e erfreuen, ohne eines gegen das andere auszuspiel­en. Wo wir den Mut haben, Altes zu entsorgen und Neues neugierig zu beginnen.

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