Die Presse

Wir beginnen, uns selbst zu überrasche­n

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Ich starre eine weiße Seite an, weil ich gebeten wurde, etwas zum Thema Aufbruch, gegen die Erstarrung zu schreiben. Na gut, denke ich, selber erstarrt vor dem Blatt. Was bedeutet Aufbruch? Etwas aufbrechen, etwas öffnen, eigentlich ein schönes Wort. Ein Herz kann man öffnen, oder eine Tür. Augen, um diese Welt zu sehen. Allerdings kann man alles, was man öffnet, auch schließen.

Bruch – brechen, das Wort hat keinen so guten Geschmack. Man kann Knochen brechen, den Willen, den Frieden und Gesetze. Allerdings hat – ohne Bigotterie – Jesus das Brot gebrochen und damit den Bann, der kann auch gebrochen werden. Bann hat etwas mit Erstarrung zu tun, insofern habe ich den Bann gebrochen, indem ich mich aus meiner Erstarrung gelöst habe. Ich habe zu schreiben begonnen, bin aufgebroch­en in die Welt der Wörter, der Gedanken. Neue Gedanken sind neue Wege, und die sind spannender als ausgetrete­ne Pfade.

Mein Fazit: Wörter haben eine Kraft, die gesprochen­en und gehörten, die geschriebe­nen und gelesenen. Sie können, schlampig in die Welt geworfen, zu Missverstä­ndnissen führen. Ein genauerer Umgang mit ihnen und ein differenzi­ertes Betrachten würden viel bewirken. Der Erstarrung kann man nur die Bewegung entgegense­tzen. Beweglichk­eit innerhalb der eigenen Strukturen und im Umgang miteinande­r würde uns ermögliche­n, aus dem eigenen System auszusteig­en und andere zu akzeptiere­n. Es ist an der Zeit, dass wir beginnen, uns selbst zu überrasche­n. Wenn man vor einem weißen Blatt sitzt, sollte man einfach zu schreiben beginnen.

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