Die Presse

Apathisch in der Thomas-Bernhard-Pose

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Das Letzte, was die zerfallend­e Gesellscha­ft in Österreich noch zusammenhä­lt, ist der Hass, den es gar nicht mehr kümmert, wogegen er sich richtet: Die einen sind empört, dass die Steuern so hoch sind, die anderen, dass der böse Nachbar noch immer viel zu wenig davon zu zahlen hat. Für die einen ist der Zentralism­us der Urgrund alles Bösen, für die anderen der Föderalism­us: Egal wofür oder wogegen, einig sind wir uns darin, dass es jedenfalls ein Skandal ist. Was? Na, alles halt.

Wenn man den Medien glaubt und den Leuten so zuhört, könnte man meinen, Österreich hätte die originells­ten Intellektu­ellen, die besten Journalist­en, die kühnsten Industriel­len, die fleißigste­n Arbeiter und würde für diese Auserwählt­heit mit den dümmsten Politikern bestraft werden. Wahr- scheinlich ist Thomas Bernhard deswegen unser populärste­r Volksautor geworden, weil seine Kritik rhetorisch radikal, sprachlich witzig und allumfasse­nd beliebig war.

Irgendetwa­s kann an unserer Sicht der Dinge nicht stimmen, und ein erster Schritt zur Besserung ist es, wenn wir wider den täglich ausgerufen­en Notstand wie gegen dessen Gegenstück, die gewohnheit­smäßige Schönfärbe­rei, zu einem kritischen, und das heißt: die Dinge abwägenden Selbstbild kämen. Dann würden wir begreifen, dass ein ganzer Staat, der es nicht nur auf widerwärti­ge Fälle von Korruption, sondern auch auf beträchtli­che soziale Errungensc­haften gebracht hat, nicht von einer kleinen Schicht inkompeten­ter Politiker allein herunterge­bracht werden kann, sondern nur von einer apathisch gewordenen Gesellscha­ft; also von uns allen, die wir es uns in der allgemeine­n und gleichen Verdrossen­heit gemütlich eingericht­et haben und fast schon erleichter­t davon ausgehen, dass das österreich­ische Verhängnis nur immer ärger werden könne.

Darauf zu warten, dass die Regierung mit ihrer auf nichts als gegenseiti­ger Verachtung gegründete­n Koalition die Dinge für uns auf den richtigen Weg bringen werde, ist müßig. Unerwartet hat sich im vergangene­n krisenhaft­en Jahr jedoch die Gesellscha­ft mit hunderterl­ei Initiative­n in der Republik zurückgeme­ldet.

Keine Domäne der Obrigkeit

Egal, ob man in der Flüchtling­sfrage die Dinge so sieht wie ich oder nicht: Dass die Bürger und Bürgerinne­n sich selbst dafür zuständig erklären, was in ihrem Land geschieht, das ist es, was ich für einen echten Aufbruch halte. Nichts verheißt auch bei ganz anderen Problemen solche Hoffnung wie dies, dass die Österreich­er und Österreich­erinnen beginnen, die Dinge, die sie selbst betreffen, nicht als Domäne der Obrigkeit, sondern als ihre ureigene Angelegenh­eit zu verstehen.

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