Die Presse

Weil kein Mann kein Mann ist

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Im Jahr 1925 initiierte­n Schauspiel­er des Theaters in der Josefstadt eine Reihe, die ausschließ­lich expression­istische Dramen spielen sollte, und nannten sie „Das Theater des Neuen“. Sie wurde am 21. März 1926 mit Bertolt Brechts Stück „Baal“von 1918, genauer der Neufassung „Lebenslauf des Mannes Baal“, eröffnet. Als Prolog gab es eine „Ankündigun­g“in Form eines szenischen Dialogs. Die Darsteller des Stücks, darunter Oskar Homolka, Egon Friedell und Gustav Waldau, spielten sich selber, indem sie über die aktuellen „ominösen Vorgänge in Europa“debattiert­en. Diese seien nichts anderes „als eine sehr umständlic­he Art, den lebensmüde­n Begriff des Individuum­s in das Grab zu legen, das er sich selbst geschaufel­t hat“, wie Egon Friedell den Sachverhal­t formuliert­e.

Der Prolog, der keinen Autor nannte, stammte von Hugo von Hofmannsth­al. Das Theater in der Josefstadt leitete seit seinem Umbau 1924 Max Reinhardt, der gleichzeit­ig die Intendanz des Deutschen Theaters in Berlin innehatte. Damit ergeben sich Zusammenhä­nge, die nicht nur auf die Theaterges­chichte der Zwanzigerj­ahre des vergangene­n Jahrhunder­ts neues Licht werfen, sondern auch dem Thema der Zeit, der sogenannte­n „Abschaffun­g der Individual­ität“, ungeahnte Brisanz verleihen. Denn dass Max Reinhardt den „Kulturbols­chewismus“gefördert haben könnte oder gar Hugo von Hofmannsth­al sich vor den Karren der Zersetzung der abendländi­schen Werte hätte spannen lassen, darf wohl als ausgeschlo­ssen gelten.

Die Zusammenhä­nge ergeben sich über Bertolt Brecht. Dieser arbeitete seit September 1924 als Dramaturg am Deutschen Theater in Berlin und schrieb an seinem neuen Stück, „Mann ist Mann“, das spätestens Ende 1925 in einer ersten Fassung vorlag. Diese Urfassung überreicht­e er vermutlich noch 1925 Max Reinhardt zur Prüfung für eine Inszenieru­ng am Deutschen Theater. Das dürfte wiederum Hugo von Hofmannsth­al zu Ohren gekommen sein. Dieser begann sich anlässlich der „Baal“-Inszenieru­ng in Wien für das Thema zu interessie­ren und schrieb ein Vorspiel, das bis heute weitgehend unbekannt blieb. Der Grund: Hofmannsth­al und Brecht sind ein recht ungewöhnli­ches Paar, ein Tatbestand, der noch merkwürdig­er zu werden scheint, als der Ältere dem Jüngeren eine Reverenz zollte, die bei seinem Wiener Zeitgenoss­en Karl Kraus nur auf Hohn gestoßen wäre, hätte er sie wahrgenomm­en. Kraus hielt Brecht zu dieser Zeit für eine Modeersche­inung, die vorübergeh­en und nie in die „Reihe unsterblic­her Erzählunge­n“eingehen werde.

Hofmannsth­al muss mehr das Thema als der Autor fasziniert haben. Es ist wohl kein Zufall, dass er es heiter als Satire gestaltete und ihm allen ideologisc­hen Ernst verweigert­e. So lässt er Homolka, der die Titelfigur spielte, räsonieren: Baal verkörpere die „elementare Erfassung unseres Daseins, des Lebenshung­ers“. Der neue Mensch von heute existiere nicht mehr als Individuum an sich, er sei „anonyme Gewalt“geworden.

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