Spekulanten und Autoresignierer
ber zusammen mit Fachleuten durch die beiden Ortskerne zu gehen und die Häuser zu benennen, die uns so ans Herz gewachsen sind, dass wir sie auf alle Fälle und unter allen Umständen erhalten wollen, und sie zu fotografieren und sie in einem Katalog festzuhalten, in dem auch die Eigenschaften enthalten sind, die wir bei Neubauten verwirklicht haben wollen: optimale Ausnützung, nicht maximale, kein Auftrumpfen, Klarheit, Einfachheit, Freundlichkeit im Habitus, aber keinen Kitsch, und Identifikationsmerkmale im Erscheinungsbild aus Höflichkeit gegenüber den Menschen, die hier wohnen. Menschenverträgliche und umweltverträgliche Architektur.
Wieder Gummi? Nein, wenn die Architekten hier bei uns ihr Bemühen um diese Werte den Bewohnern in einem öffentlichen Hearing glaubhaft machen können, noch bevor der Entwurf endgültig ist. Das alles kann in einer „Ortssatzung als Empfehlung“stehen. Die Stadt Linz richtet sich zum Beispiel in schwierigen Fällen schon seit fast 20 Jahren nach den Empfehlungen von vier Architekten, die sie im Anlassfall zu Beratungen zusammenruft. Überhaupt: Im Westen ist man da schon weiter.
Das Ortsbild und die alten Häuser – das ist unser ureigener Kaffee, und wenn wir selber zu lahm sind, das zu betonen und gegen die Bürokratie durchzusetzen, dann ist es unsere ureigene Unfähigkeit, die zu unserer ureigenen Dauerwurstigkeit wird, wenn wir auch schon das Aufbegehren gegen die Fremdbestimmtheit eingestellt haben sollten.
Beim Verkehr liegen die Dinge etwas anders. Man braucht kein Planer zu sein, um zu verstehen, dass es sich hier um ein Netzwerk handelt, dessen Dendriten über den Bezirk und über die Stadtgrenze hinaus weit ins Umland reichen und dort wieder mit den Dendriten und Netzwerken anderer Städte verbunden sind. Von Lissabon bis Wladiwostok ei- gentlich, und das ist schön. Nicht aber dort, wo sich ein dicker, ausgefressener Verkehrsstrom durch ein nettes, kleines Nadelöhr zwängt – wie bei uns in Neustift. 14.000 Autos sind es pro Tag, nur etwa 3000 davon würden Neustift und Salmannsdorf für die eigene Aufschließung brauchen. Der Rest ist Durchzug. Man weiß nicht genau, von wo und wohin, aber in grobem Umriss ist bekannt, dass diese Lenker die Strecke Hütteldorf–Floridsdorf respektive umgekehrt teils abschnittweise, teils aber auch über die genannten Endpunkte hinaus befahren. In der Hauptverkehrszeit übrigens mit meistens nur dem Lenker im Wagen.
Es ist natürlich nicht das erste Mal, dass nach Abhilfe Ausschau gehalten wird. Tunnel? Für Neustift wunderbar. Aber indem er die Autofahrt auf der gesamten Durchfahrtsroute tendenziell schneller und damit attraktiver macht, lockt er zusätzlichen Verkehr an und vermehrt ihn im Rest von Döbling, im Rest der Stadt und auf der Höhenstraße im Wienerwald. Verkehrsvermehrend also, daher unökologisch und damit auch den Zielen der Stadtentwicklung entgegengesetzt. Sauteuer obendrein.
Also? Da hat es schon Mitte 2014 in Neustift beim Heurigen Eischer eine ganze Serie von eher intimen, gleichwohl von den wachen Interessierten aufmerksam verfolgten Fachvorträgen gegeben, bei denen, neben anderen, der Verkehrsplaner Helmut Hiess, Geschäftsführer des bekannten Ingenieurbüros Rosinak, die „Verkehrsberuhigung Neustift“vorgestellt hat: Bilder zahlreicher, anderswo längst realisierter Beispiele, dazu ein Vortrag, Zahlen, Diagramme, kleinteilige Pflastermuster, Straßenraumgestaltung, Dreißigerzone, Zwanzigerzone und so weiter. Und danach eine schöne Diskussion, ein Protokoll, in dem, ganz untypisch, die Überschrift „Ergebnisse“vorkommt.
Gut, das ginge also, im Prinzip. Aber alle wissen, dass so eine Lösung wohl eine Verlangsamung und damit Vermenschlichung des Verkehrsgeschehens im Ort bewirken würde, kaum aber, oder gar nicht, eine Reduktion der Menge durchfahrender Autos. Das ist aber möglich, und die Verkehrsplaner können es, man muss sie nur fordern, und dann kommen die „Verkehrsmanagementsysteme“ins Spiel, womit ein Bündel von Steuerungsmaßnahmen gemeint ist, durch die, „das Verkehrsaufkommen bestimmte Kapazitätsgrenzen nicht überschreitet und der öffentliche Verkehr nicht behindert wird“. Noch immer zu kleinmütig! Denn wenn man den öffentlichen Verkehr nicht nur nicht behindert, sondern sogar besonders fördert und bevorzugt, kann man entsprechend den Umschichtungserfolgen darangehen, den Strom der Durchfahrer mit den Managementsystemen aktiv einzuschränken. So steht es in „Weniger ist mehr – Ein Leitbild für die Entwicklung von Neustift und Salmannsdorf in den nächsten zehn Jahren“.
Autoverkehrsströme sind nach Größe und Geschwindigkeit modellierbar, und der öffentliche Verkehr, aber auch die Parkraumbewirtschaftung in den neuralgischen Gebieten sind Mittel dazu. Zukunftsroute des 35A, welcher in dichter Folge die Strecke Hütteldorf–Floridsdorf befährt. Autoarme Zone der Wienerwald-nahen Vororte, welche fast nur mehr Lokalverkehr aufweist und dadurch auch den Wienerwald schont. Und das alles durchsetzt mit den halb dörflichen Bebauungsstrukturen, die sich, historisch gesehen, entlang den Rändern zur Natur als lebendige Mischung von Stilen und Formen entwickelt haben, als Bilderbuch der Zeitgeschmäcker, aber immer, bis in die Gegenwart, in verträglichen, grün durchwirkten Bebauungsdichten.
Das ist als Ganzes ein Kulturgut, und das brauchen wir uns nicht von Spekulanten und Autoresignierern kaputt machen zu lassen. Wir haben es für alle Wiener zu bewahren, so wie einst auch der Wienerwald für alle Wiener bewahrt worden ist. Verträglicher Verkehr, verträgliche Dichten und verträgliche Architektur, in anmutiger Landschaft locker ineinander verschränkt, das ist die Vision einer maßhaltenden Planung. Und einmal im Jahr, im Mai, sperren wir die Durchzugsstraße durch Neustift überhaupt ab und machen eine Spielstraße für Kinder draus, was sie vor 100 Jahren ohnehin gewesen ist. „Neustifter Kindersonntag“wird das heißen. Aber nicht aus Nostalgie. Aus Zukunftssinn, um dem Menschlichen in unserer Technikwelt mehr Raum zu geben.
Alles mit Maß und Ziel, hat schon meine Großmutter gesagt. Die Frau hat etwas von Planung verstanden!
QErich Bramhas, von Beruf Architekt, ist Mitbegründer der Kulturinitiative Neustift
Salmannsdorf.