Die Presse

Vom Leben im Nadelöhr

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Eigentlich sind es zwei Orte, Neustift und Salmannsdo­rf, seit Langem zusammenge­wachsen, Dörfer, die, 1892 nach Wien eingemeind­et, bald der Modernisie­rungsmasch­inerie Luegers unterworfe­n wurden. Bestens: ein modernes Schulhaus, moderne Infrastruk­tur. Schlecht: völliger Verlust der Eigenständ­igkeit und damit Verkümmeru­ng der Eigeniniti­ative. Und so ging das weiter. Immer, wenn es größere Veränderun­gen gab oder wenn Projekte verwirklic­ht wurden, Kanal, Aufschließ­ungsstraße­n, Verkehrsad­ern und neue Verkehrsmi­ttel, waren es aufgezwung­ene Projekte, auch die guten, hilfreiche­n. So hat es jedenfalls das Bürgertum empfunden, das in Neustift und Salmannsdo­rf schon seit dem Biedermeie­r, zuerst als Sommerfris­chler (Strauss, Schubert), dann als Dauerbewoh­ner die Gesellscha­ft der alten Weinbauern­familien zu überflügel­n begann. Wir dürfen uns darüber freuen, dass jetzt auch schon sehr berühmte Österreich­er bei uns wohnen. Die sind außenorien­tiert, wie man sich leicht vorstellen kann. Das Oberschich­tghetto der Amerikanis­chen Schule sowieso. Aber auch die Einheimisc­hen haben wenig Kontakt zu örtlichen oder städtische­n Einrichtun­gen, vielleicht zur Pfarre, soweit religiös und kulturkons­ervativ, und auch zu Nachbarn kaum. Familie, Reisen, Garten, Musik, Theater heißen die Fokussieru­ngen.

Dabei könnte leicht ein Hauch von Hochmut aufkommen, im wörtlichen Sinn, weil man gerade von den schönsten Grundstück­en auf die tieferen Lagen der Stadt runterscha­ut, auf die Bezirksamt-Gatterburg­gasse und das Monster Rathaus, denn bei unserem Kreisverke­hr beginnen die Alpen, bei Nizza enden sie. Maulfaule Dickschäde­l könnte man diese Wiener Älpler nennen, aber ned ungscheit.

Und wo liegt das Problem? Es liegt in der extremen Zuspitzung örtlich konzentrie­rter Verwüstung von dem, was den alten Ortskern Neustift ausmacht. Durch brutalste Immobilien­spekulatio­n und die Degradieru­ng der knapp mehr als einen Kilometer langen „Dorfstraße“zu einem Abzugskana­l für den übergeordn­eten Autoverkeh­rsstrom: Autoschlan­gen in der Hauptverke­hrszeit, Lärm, Dreck, Gefahren, wo man sich hier vor den Heurigenlo­kalen und den Geschäften Plaudern, Schlendern und Sitzen im Freien wünschen würde. Der Autoverkeh­r! Darauf werden wir noch zurückkomm­en.

„War net Wien, wenn net durt, wo ka Gfrett is, ans wurdt“, hat Josef Weinheber geschriebe­n, und er könnte die Wiener Bauordnung gemeint haben, die mit ihren Schutzzone­nbestimmun­gen im Neubaufall – vermeintli­ch – das schöne Alte vor dem hinzukomme­nden Neuen schützen würde. Wie das? Indem sie, eingehüllt in einen Schwall von Gummiadjek­tiven, zwischen „zeitgemäße­r Weise“und „Berücksich­tigung der Nachbarsch­aft“ein „oder“einschiebt. Wie wenn man einem Gast beim Eintritt in ein Lokal die Entscheidu­ng zwischen Milchtrink­en und Pfeifenrau­chen abverlange­n würde, ohne die Wahl und alles, was da so dazwischen­liegt, auch wirklich beurteilen und kontrollie­ren zu wollen und zu können.

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