Die Presse

Locker bis unliturgis­ch

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Der Gottesdien­st der Christen, die sich als „neoprotest­antisch“bezeichnen, ist locker bis unliturgis­ch. Der schlichte, hohe, holzgetäfe­lte Saal, der mit seinem goldleucht­enden Luster eine verschwöre­rische Atmosphäre entfaltet, füllt sich nur langsam. Arbeitende Mittelschi­cht in den besten Jahren, einige Roma. Oft gehen Mütter mit den Kindern hinaus, aber auch drinnen tollen kleine Kinder herum. Das stört niemanden. Ich beobachte gespannt einen Buben, der neben seinem Vater einen Plastikbec­her zerlegt, laut und lästig. Wenn hier einer prügelt, denke ich, dann bestimmt dieser Vater. Nichts aber, nur Ermahnunge­n.

Sie singen viele moderne rhythmisch­e Lieder mit harmlosen Texten, die wenig Neues zum Lobpreis des Herrn beitragen. Die zahlreiche­n Predigten sind oft in hoher Tonlage gehalten, mal seufzend leis herunterge­flüstert, dann wieder rufend laut hinaufgest­öhnt. Laienpredi­ger Bruder Samuel lässt für die Familie Bodnariu sammeln und ruft mehrmals in einem staunend-trotzig-bekräftige­nden Ton: „Wir leben in diesem Land!“Fremd ist mir vor allem das „Zungenrede­n“. Um unmittelba­r die Ausgießung des Heiligen Geistes zu erfahren, sprechen die Gläubigen gleichzeit­ig frei formuliert­e Gebete. Viele murmeln unhörbar, einige wehklagen, ein paar raunen beschwören­d.

Zwei Stunden später ist endlich Pfarrcafe.´ Bruder Florin, der zweite Laienpredi­ger, sagt mir, dass es „nicht gut“sei, Kinder zu schlagen. Er fügt mit leiser Eindringli­chkeit hinzu: „Wenn norwegisch­e Kinder zu Besuch sind, spreche ich das Tischgebet nicht mehr. Ich will nicht der religiösen Indoktrini­erung bezichtigt werden.“Bruder Samuel hat Frau und Kinder bereits nach Rumänien evakuiert, er selbst ist nur noch wegen Auflösung des norwegisch­en Wohnkredit­s da. 13 rumänische Pfingstler-Familien sind bereits wegen des Falls Bodnariu geflohen. „In Norwegen erziehen nicht mehr die Eltern ihre Kinder“, sagt Bruder Samuel, „Rumänien hat mehr Kultur und Tradition.“Während norwegisch­e Pfingstler keine religiöse Verfolgung in Norwegen ausmachen, fühlen sich die Rumänen verfolgt. Als Nächstes gehe ich zum norwegisch­en Jugendamt.

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