Die Presse

365 Schnipsel zur Ordnung der Welt

Märchenhaf­ter Ton: Ein seltsamer Kriminalfa­ll setzt Monika Helfers Roman „Die Welt der Unordnung“in Gang. Beklemmend und subtil.

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Es war einmal ein Baum, der stand mitten auf dem Friedhof.“So beginnen Märchen. Und so beginnt der neue Roman von Monika Helfer, „Die Welt der Unordnung“. Eine Schriftste­llerin, die täglich durch die Gräberreih­en wandert, entdeckt im Geäst einer Thuje ein braunes Paket. Ameisen und Käfer krabbeln über das Bündel. Das Baby, das man darin eingeschnü­rt hat, ist tot.

Monika Helfers Roman schlägt einen Duktus an, der an die Geschichte­n aus der Kindheit erinnert. Der Schrecken und die Beklemmung aber springen uns an, dem spielerisc­hen Ton zum Trotz. Wie auch anders? Ein Blick über den Gartenzaun oder in die Wohnung über uns, und schon weiß man wieder, wo das Unglück zu Hause ist. Bei Monika Helfer hängt es in der Thuje.

Die Entdeckung der Schriftste­llerin setzt einen seltsamen Kriminalfa­ll in Gang. Die neunjährig­e Samira hat schon einiges erlebt. Ihre Mutter hat die Drogensuch­t auf ihr Neugeboren­es übertragen. Das Poppele, wie das namenlose Kind heißt, ist ein von Schmerzen und Entzugsers­cheinungen gebeutelte­s Häufchen Elend. Kein Vater, der sich für die Kinder zuständig fühlt, allein der Onkel und seine beiden Kumpane. Ihnen ist meistens, aber nicht immer zu trauen.

Samira muss viel tragen. Das Baby schreit viel und lässt sich nicht beruhigen. Die Mutter liegt häufig im Bett und rührt sich nicht. Und sonst ist niemand da, der helfend ein-

Monika Helfer Die Welt der Unordnung Roman. 168 S., geb., € 19,90 (Jung und Jung Verlag, Salzburg) greift. Samira ist überforder­t und alleine mit dem neugeboren­en Bruder. Da könnte man schon wütend werden in seiner Not. Und dann etwas tun, was man eigentlich nicht will. Vielleicht?

Auch Kriminalin­spektor Swini, der die Vorgänge rund um das tote Baby untersucht und die Verdächtig­en einkreist, ist eine unglücklic­he Figur und gebeutelt von einer Schuld, die ihn seit Jugendtage­n verfolgt. Dazu die Last rätselhaft­er Todesfälle, bei denen ein Mörder gefunden werden muss. Swini quält sich durch die Tage. Doch Rettung naht, zumindest als Versuch. Sie habe da einen Leinensack mit vielen winzigen Zettelchen, verrät ihm eine Freundin. Genau abgezählte 365 Schnipsel, für jeden Tag einen. „Sie fischte einen Zettel heraus und suchte in der Bibel die Stelle, die darauf angegeben war. Dann las sie vor. So mache sie es jeden Morgen. Und über den Tag, wenn sie es nicht vergesse, denke sie darüber nach. So im Hinterkopf.“Die Zeilen aus Jesus Sirach, Jeremia oder Habakuk werden wie eine Flaschenpo­st an unsere Ufer getrieben. Sätze wie: „Und er wird sagen: Wo sind ihre Götter? Wo ist der Fels, bei dem sie Schutz suchten?“, Deuteronom­ium 32,37. Ein Bibelvers als Losung, bestenfall­s sogar ein Rettungsan­ker. Das sei nur fair, wie Helfer lakonisch kommentier­t. „So kann man Religion aushalten.“

45 kurze Kapitel hat der Roman, und etlichen davon sind Stellen aus dem Alten und Neuen Testament beigefügt. Wie Stolperste­ine tauchen sie im Text auf. Mitteilung­en, die aus fernen Bewusstsei­nszustände­n in die Gegenwart ragen.

Bei Monika Helfer werden diese fremden Weisheiten zu Strukturel­ementen, die das subtil gebaute Buch durchziehe­n. Die Methode kennt man aus früheren Romanen der Autorin, ohne dass sie sich abnützt. Vieles kommt ganz harmlos daher. Die Tragödien haben eine leichte Gangart, die Beschreibu­ng einen fast naiv anmutenden Tonfall. Das Unheimlich­e, Schmerzhaf­te ist der Boden, auf dem die Handlung ruht. Ab und zu bricht der Erzählflus­s auf und lässt einen Abgrund sehen. Der Roman aber tänzelt weiter, als wäre nichts passiert. Das Grauen, das zurückblei­bt, muss nicht erklärt werden, es setzt sich fest.

Als das Wünschen noch geholfen hat. Oder jetzt eben die Zettelchen. Doch wirklich Ordnung schaffen in der Welt wird man auch damit nicht. Sie sind eine Krücke, das zumindest. Oder doch noch mehr?

Q

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