Die Presse

Im Reich Meister Adebars und der Turopolje-Schweine

Kroatien I. Cigoˇ´c in den Save-Auen ist eine Arche alter Haustierra­ssen. Die Zukunft des Ortes liegt in der Vergangenh­eit.

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Das frühmorgen­dliche Stillleben von Cˇigoc´ ist stets das gleiche: Der alte Bauer mit der blauen Baseballka­ppe und seine Frau treiben ihre zwei Kühe über die Dorfstraße in die Allmende. Die Frau trägt Kopftuch und geht am Stock. Der Bauer sitzt o-beinig auf seinem vorsintflu­tlichen Rad und schwingt die Gerte. Die Morgenluft ist klar und kühl, die schwüle Hitze des Sommermitt­ags noch fern.

Ohne das Geklapper der Störche, die in den Horsten den Kopf in den Nacken werfen, und ihr katzenarti­ges Gefauche wäre es friedhofss­till im Ort. Am Himmel kreisen 17 Störche. Durch die Auen hüpfen die Frösche. Willkommen in Kroatiens Save-Auen!

Die Hauptstadt der europäisch­en Störche ist ein 120-SeelenDorf in Westslawon­iens Posavina, dem Flachland beidseits der Save, eine Bahnstunde südöstlich von Zagreb. 1994 bekam das Dorf von der Umweltstif­tung Euronatur den Titel Europäisch­es Storchendo­rf. Jedes Jahr im April kommen die Störche aus Afrika zurück. Auf fast jedem Dach der Holzhäuser und Scheunen thront ein Nest. 45 Nester, auf die sich an die 200 Störche verteilen, mehr als das Dorf Einwohner hat. Vorigen Sommer waren 34 Nester besetzt, in den meisten hockten zwei Junge. Die Ansammlung der Störche hat zwei Gründe: das große Nahrungsan­gebot in den Auen und die Weite der Allmendewe­iden – überreich ist der Tisch mit Fischen, Fröschen, Insekten und Mäusen gedeckt.

In Haus 26 – Straßennam­en hat das Reihendorf nicht – ist die Besucher-Info untergebra­cht. Hier versorgt Davor Anzil Touristen mit Wanderkart­en, Adressen und Infos. Den Winter verbringen die Störche von Cˇigoc´ in Afrika, berichtet er. Der 46-Jährige zählt die Etappen auf: „Save, Donau, Istanbul, Jordanien, Ägypten, den Nil aufwärts.“Um den globalen Bestand der Schreitvög­el ist es nicht schlecht bestellt. In Westeuropa steigt ihre Zahl seit Jahren wieder, in Mittel- und Osteuropa ist der Storch aus dem Bild der Dörfer nie verschwund­en. Der letzte Zensus wies 230.000 aus, Tendenz steigend, schießwüti­gen Vogeljäger­n im östlichen Mittelmeer­raum zum Trotz.

Strokovo,ˇ der Storchenta­g

Die Störche takten das Jahr in Cˇigoc´ und den Nachbardör­fern wie die katholisch­en Feiertage. Am 19. März, dem Tag des heiligen Josef, wird die Ankunft Adebars gefeiert, Ende Juni das Fest Strokovo,ˇ der Storchenta­g. Mitte August heben die Zugvögel für die große Reise ab.

Seit 1998 ist Lonjsko Polje, die Gegend um die Save-Auen-Dörfer, Naturpark, 70 Kilometer lang, zwei bis 15 Kilometer breit. 243 Vogelarten wurden gezählt, 135 davon brüten hier, darunter Rallenreih­er, Nachtreihe­r, Purpurreih­er, Löffler, Rohrweihe und Schreiadle­r. Im Park gedeihen nebst 550 Pflanzenar­ten auch 41 Fisch-, 16 Amphibien-, zehn Reptilien- und 58 Säugetiers­pezies, darunter Fischotter, Biber und Goldschaka­l.

Die Save hat in Lonjsko Polje viel Raum: 506 Quadratkil­ometer Fläche, die Summe aus Malta und Liechtenst­ein, eines der größten Feuchtbiot­ope Europas, drei Viertel davon Auwald, der Rest Weideland. Jedes Jahr im Frühjahr und Herbst tritt die Save über die Ufer, bis zu zehn Meter steigt ihr Pegel. Das Schwemmgeb­iet schützt als Wasserrück­haltebecke­n die Städte und Dörfer flußabwärt­s vor Hochwasser.

„Wildnis, das ist heute eine Phrase“, sagt Zˇeljko Vasilik, ein Hobbyornit­hologe, der im nahegelege­nen Dorf Budasevoˇ aufgewachs­en ist und in den Save-Dörfern Oberleitun­gen isoliert, damit die Störche in den auf Strommaste­n gebauten Horsten keine Kurzschlüs­se auslösen. Seit 200 Jahren greife der Mensch hier in die Natur ein, baue Deiche, schaffe Grasland, sagt Vasilik. Noch als Kind, als Budasevoˇ ohne Deich war, habe er erlebt, wie das Wasser direkt hinter dem Haus die Eichenwäld­er überschwem­mt habe. Die Eingriffe in die Landschaft haben die Weidewirts­chaft erst möglich gemacht. Die alten Haustierra­ssen werden in Lonjsko Polje noch heute gehalten.

An einem alten Ziehbrunne­n tummeln sich auf der Allmende Kühe, ein Viehhirte pumpt Wasser. Abseits des Deiches, hinter der Wegschrank­e, wird das Wandern zur Sumpfexped­ition. In den Tümpeln und Teichen hopst der Froschnach­wuchs umher, propellern Libellen, vom Weg schleicht sich eine Ringelnatt­er davon. Im Schatten einer Parzelle Eichenwald rastet herrenlos eine Herde Schafe. Zu den alten Haustierra­ssen zählen das TuropoljeS­chwein, das Posavina-Pferd und das slawonisch­e Steppenrin­d. Im 19. Jahrhunder­t habe es allein eine halbe Million TuropoljeS­chweine in der Region gegeben, dazu 40.000 Pferde. Heute seien es noch 40.000 Schweine und 5000 Pferde. Das genüge, um die Landschaft offen zu halten.

Vasilik startet seinen alten Fiat. Es geht ins Nachbardor­f Muzilovˇci­ca.ˇ Im Grasland hinter dem Dorf haben Imker ihre Kästen abgestellt. Die Bienen zaubern hier kostbaren Waldhonig. Im Schatten des Eichenwald­es dösen schwarz gefleckte TuropoljeS­chweine. Die robusten Tiere sind das ganze Jahr über draußen „Die Leute wissen oft nicht mehr, wie viele Schweine ihnen gehören“, sagt Vasilik. Aber jedes Schwein erkenne seinen Besitzer am Ruf, wenn der ein süßes Extra bringe. Mensch und Tier wissen in den Save-Auen noch recht gut, was sie aneinander haben.

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