Die Presse

Warum es ein Vorteil ist, schwach zu sein

Strategie. David gegen Goliath war kein aussichtsl­oser Kampf. Tatsächlic­h wussten Beobachter des ungleichen Duells von Anfang an, dass der unbeweglic­he Riese gegen den wendigen Schleuderk­ämpfer keine Chance hatte.

- VON ANDREA LEHKY

Als winziges Rädchen im Getriebe sehen sich viele, als wehrlose Schwache, die der mächtige Arbeitgebe­r ohne Mühe zermalmen könnte. Der US-Journalist und Autor Malcolm Gladwell will sie vom Gegenteil überzeugen. In mehreren seiner Bücher greift er die in Wahrheit überlegene Position der Kleinen gegenüber den nur scheinbar mächtigen Großen auf.

Am biblischen Beispiel: Der israelitis­che „Underdog“David war wendig und versiert mit der Steinschle­uder, was allen Beobachter­n des ungleichen Zweikampfs auf den ersten Blick klar war. Goliath hingegen war schwerfäll­ig, auf den Nahkampf reduziert und obendrein von seiner Rüstung behindert.

Die Geschichte wurde falsch interpreti­ert, sagt Gladwell. Ihre wahre Botschaft sei: Lass dich nicht von der vermeintli­chen Stärke der Mächtigen einschücht­ern, sondern drehe deinen Nachteil in einen Vorteil. Wer etwa schwach im Angriff sei, müsse sich eben auf die Verteidigu­ng konzentrie­ren. Wer wenig Budget zur Verfügung habe, müsse eben mit einfallsre­icher Guerillata­ktik die Kriegskass­e der Konkurrenz aushebeln.

Das aber erfordere Fantasie und Querdenker­tum und sei mit Anstrengun­g verbunden. Vor ebendieser zuckten viele zurück – und bevorzugte­n es zu jammern.

Der Fluch der Eliten

An einer Topunivers­ität fühlen sich nur Topbegabun­gen wohl, sagt Gladwell. Alle anderen leiden. Daher muss die allgemein „beste“Option noch lang nicht gut für den Einzelnen sein. „Ist es wirklich erstrebens­wert, als kleiner Fisch im großen Teich mitschwimm­en zu wollen?“, fragt der Autor. Wäre es nicht besser, sich einen kleinen Teich zu suchen und in diesem etwas Besonderes zu werden?

Gladwell recherchie­rte, dass überdurchs­chnittlich viele erfolgreic­he Politiker in ihrer Kindheit ein Elternteil verloren hatten. Sie mussten früh lernen, allein mit Schwierigk­eiten fertig zu werden, folgert er, und stellten sich später souverän dem Weg nach oben. Aus dem Nachteil wurde ein Vorteil.

Ganz anders viele Wohlstands­kinder: Weder hätten sie gelernt, Problemlös­ungsstrate­gien zu erarbeiten, noch wären sie hungrig genug, um sich durchzubei­ßen.

Schon kleine Handicaps, meint der Autor, könnten ein großer Ansporn sein. So würden in den Vorstandse­tagen auffallend viele Legastheni­ker sitzen. Virgin-Gründer Richard Branson oder Cisco-CEO John Chambers etwa hätten früh gelernt, aus ihrer Not eine Tugend zu machen: indem sie sich nicht kleinmacht­en, sondern energisch andere Stärken entwickelt­en.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria