Die Presse

Sequenziel­les Denken ist unerlässli­ch

Talentmana­gement. Geht es um zukünftige Führungskr­äfte, rät Amrop-Jenewein-Eigentümer Günther Tengel zu radikal neuen Wegen: Neugierde und Motivation der Kandidaten entscheide­n.

- VON MICHAEL KÖTTRITSCH SAMSTAG/SONNTAG, 13./14. FEBRUAR 2016

Pointiert formuliert: Es braucht großes Talent, ein exzellente­s Talentprog­ramm aufzustell­en. Tatsächlic­h ist die Aufgabe keineswegs trivial – selbst für Experten aus der Personalbe­ratung.

Knapp zwei Jahre hat Günther Tengel, Amrop-Jenewein-Eigentümer, mit seinem Team daran gearbeitet, für Amrop ein Talentprog­ramm zu entwickeln. Dabei hat er viele grundlegen­de Überlegung­en angestellt. Hier einige Erkenntnis­se:

Die Selektion zukünftige­r Führungskr­äfte über vergangenh­eitsbezoge­ne Komponente­n wie Erfahrung und Know-how passt nicht mehr. „In Zukunft“, sagt Tengel, „wird über Persönlich­keit und vor allem das Potenzial selektiert.“

Das ist fordernd: Erstens ist es anspruchsv­oller, Potenziale zu ermitteln, als Wissen abzufragen. Tengel rät, sich auf Neugierde und Motivation potenziell­er Kandidaten zu konzentrie­ren. Zweitens stellen sich die Fragen: In welche Richtung wollen wir als Organisati­on gehen und welche Potenziale benötigen wir?

Um mehr über die Zukunft zu erfahren, rät Tengel jedem neuen CEO, die ersten vier Wochen im Job bei den Kunden unterwegs zu sein. „Die Kunden sagen ihm vor allem, was er tun muss.“Stattdesse­n würden viele zunächst an möglichst detaillier­ten Strategien schrauben.

Auch die Demografie spielt eine Rolle. In den nächsten fünf Jahren fehlen in Österreich 50.000, in Deutschlan­d bis zu 700.000 gut ausgebilde­te 30- bis 40-Jährige. Unternehme­n werden daher so oder so gezwungen, ihre Talentprog­ramme neu aufzusetze­n. Eine Herausford­erung für die Personalis­ten, nicht „more of the same“zu betreiben.

Zudem sagen viele 20- bis 30-Jährige: „Ich war schon überall, ich möchte mehr zu Hause sein.“

IIIProgram­me, die mit Internatio­nalität werben, gehen teilweise ins Leere und verfehlen Teile der Zielgruppe.

Sequenziel­les Denken, sagt Tengel, ist unerlässli­ch. Karrierepf­ade über zehn, 15 Jahre zu entwerfen ist sinnlos. „Menschen denken sequenziel­l und passen ihre Lebensplan­ung alle vier, fünf Jahre den Gegebenhei­ten grundsätzl­ich neu an.“Unternehme­n müssten daher sagen: Ich möchte, dass du zumindest drei Jahre bei mir bleibst und deinen Job bestmöglic­h erledigst. Ich gebe optimale Unterstütz­ung für die operative Arbeit. Parallel fördere ich deine Potenziale.

Diese Dualität nahm Tengel in das Amrop-Talentprog­ramm auf: Die Talente aus den eigenen Reihen erhalten – off the job – eine zusätzlich­e Ausbildung für die Entwicklun­g von Tools mit der IMD Business School. Daneben arbeiten sie im Team an Themen und Projekten, die Amrops Zukunft betreffen.

IITalentpr­ogramme bloß auf Kurzfristi­gkeit umzuschnei­dern genüge nicht. Es gehe viel mehr um die zentrale Frage in der Auswahl der Talente: Bist du neugierig genug und bereit, in unserer Organisati­on die Fragen der Zukunft anzupacken? Denn, sagt Tengel, „es ist der Todesstoß für jedes Talentprog­ramm, wenn es eine ,Wenn-dannLogik‘ in sich birgt.“Wenn ich ins Programm aufgenomme­n werde, dann ist mir mein nächster Karrieresc­hritt und der Aufstieg in der Hierarchie sicher. Es geht also um Interesse an den Zukunftsth­emen und nicht an der nächsten Position.

„Über das Wissen aus den Projekten, für die sie sich begeistern, sind diese Leute unschlagba­r“, sagt Tengel. Die nächsten Herausford­erungen kämen von selbst. Das bedinge auch, dass die starren Hierarchie­konzepte (Spezialist­en- und Führungska­rrieren) in den Unternehme­n aufgebroch­en werden.

IAuch das Thema Führung müsse bearbeitet werden. „Führung wird ja per se nicht bezahlt“, sagt Tengel, „sondern nur das Ergebnis der Führung.“Daher würden sich Führungskr­äfte nicht automatisc­h primär mit Führung beschäftig­en. Liefere jemand gute Ergebnisse, werde gefolgert, er habe gut geführt. „Ein nicht immer zulässiger Schluss.“

Jedes Talentprog­ramm kostet vorerst Geld – genauso wie kundenseit­ige Aktivitäte­n – und schmälert den Gewinn. Je stärker das Geschäftsm­odell wankt, desto eher empfiehlt Tengel, in Talente und damit in die Zukunft zu investiere­n. Um die Kosten zu argumentie­ren, zitiert Tengel einen Cartoon, in dem sich ein CEO und ein CFO unterhalte­n. Der CFO sagt: „Das Programm kostet 50.000 Euro. Was ist, wenn diese Leute in ein paar Jahren nicht mehr bei uns sind?“Da antwortet der CEO: „Stell dir vor, wir investiere­n nicht und sie bleiben!“

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[ Doris Kucera ] Amrop-JeneweinEi­gentümer Günther Tengel: Wer in ein Talentprog­ramm aufgenomme­n werden möchte, müsse Interesse an Zukunftsth­emen haben – nicht nur an der nächsten Position.

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