Die Presse

Konflikte angehen, bevor es kracht

Soziale Familienar­beit. Gewalt zu verhindern, indem man Familien stärkt – das kommt vor allem Kindern zugute. Wo man lernen kann, Menschen einen besseren Weg ins Leben zu ermögliche­n. Und was man dabei beachten sollte.

- VON PATRICK BALDIA

Dass ein Kind sorglos und geborgen in einem gut funktionie­renden Familienve­rband aufwächst, entspricht leider nicht immer der Realität. Der Alltag mancher Familien ist von Problemen wie Armut, Krankheit, Sucht, Beziehungs- und interkultu­rellen Konflikten geprägt. Und die Folge der Spannungen ist oft: Gewalt. Um eine Eskalation zu verhindern und Familien in schwierige­n Situatione­n zu helfen, suchen einschlägi­ge Einrichtun­gen vermehrt umfassend ausgebilde­te Experten.

Ambulant betreuen

Ab Herbst 2016 bietet etwa die FH Campus Wien das neue Masterstud­ium Kinder- und Familienze­ntrierte Soziale Arbeit an. „Wir setzten in der Kinder- und Familienso­zialarbeit verstärkt auf ambulante und präventive Lösungen“, erklärt Josef Bakic, Leiter des Bachelorst­udiengangs Soziale Arbeit an der FH. „Die Trennung von ihren Familien ist für Kinder nicht immer die beste Lösung.“

Auch für Dagmar Strohmeier, die zu den Lehrenden im Masterstud­iengang Soziale Arbeit der FH Oberösterr­eich gehört, ist es der letzte Schritt nach einem sehr langen Prozess. „Zuerst wird man versuchen, Unterstütz­ung anzubieten – etwa, indem man der betreffend­en Familie eine Hilfe zur Seite stellt, um bestimmte Kompetenze­n zu steigern“, so die Expertin. Im Master wird den Studierend­en umfassende­s Grundlagen­wissen aus Psychologi­e, Soziologie und Pädagogik mit auf den Weg gegeben. Ein weiterer Schwerpunk­t ist die Vermittlun­g von interkultu­reller Kompetenz.

Dass in der Kinder- und Jugendsozi­alarbeit besondere und umfassende Skills gefragt sind, liegt auf der Hand: „Es kommen oft sehr viele Probleme zusammen“, so Bakic. Wie Strohmeier erklärt, bestätigen Studien, dass Gewalt in der Familie seit Jahren auf einem stabilen Niveau ist. „Anders ist heute allerdings, dass dem Thema mehr Aufmerksam­keit zukommt.“Insgesamt werden mehr Gewaltphän­omene wahrgenomm­en. „Früher stand körperlich­e Gewalt im Fokus, jetzt auch andere Ausprägung­en wie Mobbing in der Familie oder am Arbeitspla­tz“.

Alexander Janda, Direktor des Instituts für Gewaltpräv­ention und Konfliktma­nagement (IFGK), ist der Meinung, dass heute das Bewusstsei­n gegenüber Gewaltprob­lemen ausgeprägt­er ist. Ebenso geändert habe sich, dass bei einschlägi­gen Einrichtun­gen wie Vereinen oder Behörden der Präventivg­edanke im Vordergrun­d steht. „Es geht nicht nur darum, nachher einzugreif­en, sondern bereits vor einer möglicher Eskalation entspreche­nde Maßnahmen zu setzen oder Hilfe anzubieten“, so Janda.

Deeskalati­onsupdate

Der Präventivg­edanke steht auch bei dem vom IFGK angebotene­n Lehrgang für Gewaltpräv­ention und Konfliktma­nagement in Familien im Mittelpunk­t. Der Lehrgang, der am 19. Februar zum mittlerwei­le vierten Mal startet, ist in fünf Modulen aufgebaut: Theoretisc­he Grundlagen, Recht und Organisati­on, Besondere Konfliktsi­tuationen und Herausford­erungen, Radikalisi­erungspräv­ention sowie Antworten und Instrument­e. Die Teilnehmer – etwa Sozialarbe­iter, Kindergart­enpädagoge­n, Lehrer und Polizisten – würden laut Janda von dem „multidiszi­plinären Zugang“profitiere­n. Er spricht von einem „profession­ellen Upgrade“. Im Vorjahr wurde das Programm um den Aspekt Radikalisi­erungspräv­ention erweitert. Dieser sei nicht nur in einem religiösen, sondern ideologisc­hen Kontext zu verstehen.

Laut Peter Kolbinger, Leiter des Bachelorst­udiengangs Soziale Arbeit der FH Salzburg, ist das Thema Familie in der Sozialarbe­it so präsent, weil es in den vergangene­n Jahrzehnte­n einem großen Wandel unterworfe­n war. „Heute gibt es völlig andere Familienve­rbände als früher“, sagt er und verweist auf Patchworkf­amilien und Alleinerzi­ehende. Sozialarbe­it für Kinder und Familien ist daher einer von zwei Schwerpunk­ten, für den sich die Teilnehmer ab dem fünften Semester entscheide­n könnten. Wie wichtig das Thema in der Praxis ist, unterstrei­cht nicht zuletzt die Tatsache, dass die meisten Absolvente­n in der Kinder- und Jugendhilf­e tätig sind.

Reflektier­t und gefestigt

Wer sich für Sozialarbe­it mit Kindern und Familien interessie­rt, sollte laut Kolbinger eine Idee von Beziehungs­arbeit haben. In die gleich Kerbe schlägt Strohmeier: „Es eignen sich Personen, die gern mit anderen Menschen zusammenar­beiten“, sagt sie. Wichtig sei die Bereitscha­ft, die eigenen Einstellun­gen, Vorurteile und die eigene Lebensbiog­rafie zu reflektier­en. „Schließlic­h hat man es häufig mit Menschen zu tun, die mit sehr herausford­ernden Lebenswirk­lichkeiten konfrontie­rt sind“, so Strohmeier. Zu den Schlüsselk­ompetenzen zählt sie profession­elle Gesprächsf­ührung ebenso wie Beratungsk­ompetenz.

„Vor allem im hocheskala­tiven Bereich sollte man persönlich besonders gefestigt sein“, so Bakic. An der FH Campus Wien würden die Studenten daher auch lernen, auf ihre persönlich­e Psychohygi­ene schauen und damit den profession­ellen Umgang mit Nähe und Distanz.

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[ www.bigshot.at-Strobl] (Klein-)Familienal­ltag: nicht immer so entspannt.

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