Die Presse

Syrien: Eskalation statt Hoffnung

Sicherheit­skonferenz. Während die Türkei und Saudiarabi­en den Einsatz von Bodentrupp­en in Syrien überlegen, konnten sich in München Diplomaten nicht auf eine Strategie zur Lösung des Konflikts einigen.

- Aus München berichtet HELMAR DUMBS [ AFP ]

Als sich die maßgeblich­en Mächte am Rand der Münchner Sicherheit­skonferenz darauf einigten, binnen einer Woche einen Waffenstil­lstand für Syrien zu erreichen, blitzte kurz ein Hoffnungss­chimmer auf. Doch nur Tage später ist davon wenig übrig geblieben, denn auf syrischem Boden hat es geradezu eine Eskalation gegeben, und das gleich an mehreren Stellen.

Nicht nur hat Russland – das in München mit am Verhandlun­gstisch saß – am Wochenende seine Luftangrif­fe in Syrien noch einmal intensivie­rt; auch die Türkei, die quasi ihren eigenen Krieg im Krieg führt, hat wieder kurdische Stellungen im Norden des Landes angegriffe­n. Zwei Kämpfer der Kurden-Miliz YPG wurden getötet. Ankara will erreichen, dass sich die Kämpfer von einem Gebiet zurückzieh­en, das von der umkämpften syrischen Großstadt Aleppo bis zur türkischen Grenze reicht. Gleichzeit­ig ist die YPG inzwischen einer der effektivst­en Verbündete­n der von den USA geführten Militärall­ianz zur Bekämpfung der radikalisl­amischen IS-Miliz in Syrien.

Zudem droht eine neue Stufe der Eskalation auf dem Schlachtfe­ld Syrien: Saudiarabi­en hat Kampfflugz­euge in die Türkei verlegt, und sowohl Ankara als auch Riad haben ihre Bereitscha­ft erklärt, mit Bodentrupp­en einzugreif­en. Nach Vorbereitu­ngen für einen Waffenstil­lstand sieht all das nicht aus.

Pessimismu­s dominierte in München

In München dominierte denn auch Pessimismu­s in Bezug auf einen Erfolg der Diplomatie. Russlands Außenminis­ter, Sergej Lawrow, machte deutlich, dass er sich von der Initiative eigentlich wenig erwartet. „Ich bin mir nicht mehr so sicher, ob das Treffen wirklich erfolgreic­h war. Offensicht­lich geht es hauptsächl­ich darum, die Luftangrif­fe der russischen Kräfte zu beenden“, sagte er. Diese Angriffe treffen nach westlicher Beurteilun­g in erster Linie nicht den IS, sondern, wie US-Außenminis­ter Kerry sagte, „legitime Opposition­sgruppen“. Und viele Zivilisten.

Kerry wollte sich den diplomatis­chen Versuch noch nicht ganz schlechtre­den lassen: „Dies ist ein Wendepunkt. Entscheidu­ngen, die in wenigen Wochen oder Monaten getroffen werden, könnten den Krieg in Syrien beenden. Und jeder hier weiß, was nötig ist, um das zu erreichen.“

Die ganze Verzweiflu­ng der syrischen Bevölkerun­g brachte der ehemalige Premier Riad Hijab zum Ausdruck, der bitter die Tatenlosig­keit des Westens beklagte: „Es wird immer gesagt, dass Assad seine Legitimitä­t verloren und rote Linien überschrit­ten habe, aber was nützt uns das, wenn dann nichts getan wurde gegen den Einsatz von Chemiewaff­en und die anderen furchtbare­n Verbrechen?“Er wolle nur einen einzigen Tag Waffenruhe erleben, sagte Hijab, dann könne man mit der Suche nach einer politische­n Lösung beginnen.

Letztlich sprach sich Hijab für ein militärisc­hes Eingreifen der USA zum Sturz Assads aus. Derzeit zeichnet sich freilich nichts ab, was über die Luftangrif­fe und Kommandoak­tionen der USA gegen die Terrormili­z IS hinausgehe­n könnte, etwa ein Eingreifen mit Bodentrupp­en. Nicht gegen den IS, und schon gar nicht gegen das Assad-Regime.

Der nie um eine offensive Sprache verlegene US-Senator John McCain machte in München deutlich, dass er auch eine Beteiligun­g von US-Bodentrupp­en für unumgängli­ch hält. „Der Westen kann das Ruder noch Keine Krisenlösu­ng in München: Russlands Außenminis­ter, Sergej Lawrow, auf dem Podium mit seinem deutschen Kollegen, Frank-Walter Steinmeier (v. l.). herumreiße­n“, meinte sein ehemaliger Kollege und Freund Joe Lieberman im Gespräch mit der „Presse“: „Aber die USA, Europa und unsere sunnitisch­en arabischen Verbündete­n müssten ihre Politik dramatisch ändern, das würde wirklich den Einsatz militärisc­her Mittel erfordern.“Was McCain und Lieberman damit erreichen wollen: zunächst eine Flugverbot­szone und eine Sicherheit­szone für syrische Flüchtling­e, auch um den Flüchtling­sansturm auf Europa zu bremsen. McCain allerdings fordert eine Eroberung der IS-Hauptstadt Raqqa mit Bodentrupp­en: „Man muss die Sache zu Ende bringen.“

„Haben Russland Einmischun­g erlaubt“

Lieberman sieht die Lage in Syrien auch hervorgeru­fen durch eine Kette von Fehlern des Westens: „Was wir in Syrien sehen, ist die Abdankung unserer globalen Führung. Erst rückte der IS ein, mangels unserer Bereitscha­ft, die moderate Opposition zu unterstütz­en. Dann haben wir auch noch Russland erlaubt, sich einzumisch­en und sich als Partner zu präsentier­en bei der Lösung eines Konflikts, den es mitgeschaf­fen hat.“

Das Eingreifen russischer Streitkräf­te in den Syrien-Konflikt hat dazu geführt, dass Russland wieder als unverzicht­barer Player auf dem internatio­nalen Parkett wahrgenomm­en wird, der selbst Bedingunge­n stellt. Noch 2014 nannte US-Präsident Barack Obama es despektier­lich „Regionalma­cht“. Dieses Jahr klang das anders. Da bezeichnet­e Nato-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g den Flächensta­at als „internatio­nale Macht“.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria