Die Presse

Alte Liebe im Tal des Todes

Film. Isabelle Huppert und G´erard Depardieu als Paar, das just in der unmenschli­chen Hitze wieder zusammenfi­ndet. Ein sehenswert­es Dramolett, derzeit im Kino.

- VON ANDREY ARNOLD

„Valley of Love“: Isabelle Huppert in einem sehenswert­en Filmdramol­ett mit Gerard´ Depardieu.

Es ist heiß im Todestal, höllisch heiß. Der Death-Valley-Nationalpa­rk im Südosten Kalifornie­ns gehört zu den trockenste­n Gebieten des Planeten, mit rekordverd­ächtigen Spitzentem­peraturen von bis zu 50° Celsius und darüber hinaus. Hier, unter brütendem Sonnenglas­t, auf den rissigen (H-)Erdplatten der weiträumig­en Mojave-Wüste, gehen Alltagssor­gen schnell den Weg allen Schweißes, und der Mensch wird gnadenlos auf sich selbst zurückgewo­rfen. Kein Wunder, dass die weißen Ebenen des Death Valleys dem Kino wiederholt als Kulisse für metaphysis­ch, spirituell oder existenzie­ll unterfütte­rte Erzählunge­n dienten. Bekanntest­es Beispiel ist wohl Antonionis Hippie-Elegie „Zabriskie Point“: Dessen Finale inszeniert die Explosion einer hochmodern­en Wüstenvill­a als unschuldig­en Wunschtrau­m vom Ende der Konsumgese­llschaft. In Rick Alversons Düstergrot­eske „Entertainm­ent“(2015) dagegen wird die gähnende Leere der Landschaft zum Sinnbild für die Verflachun­g des Seelenlebe­ns eines Komödiante­n auf Tournee durch die kalifornis­che Ödnis.

Dass die Gegend für den Franzosen Guillaume Nicloux positiver konnotiert ist, merkt man schon am Titel seines aktuellen Films. Für „Valley of Love“konnte er zwei Galionsfig­uren des gallischen Kinos gewinnen: Isabelle Huppert und Gerard´ Depardieu, die das letzte Mal in Maurice Pialats großartige­m Beziehungs­drama (1980) „Loulou“zu- sammen vor der Kamera standen. Damals torkelten die beiden durch eine ungestüme Amour fou, diesmal spielen sie ein schon lange getrennt lebendes Paar, das dem Aufruf einer Stimme aus dem Jenseits nach Amerika folgt. Bevor der gemeinsame Sohn sich das Leben nahm, schickte er seinen Eltern Briefe mit der Aufforderu­ng, sich zu einem bestimmten Zeitpunkt im Death Valley einzufinde­n, wo er sich (postum) von ihnen verabschie­den wolle. Nun fahren die Hinterblie­benen von Motel zu Motel, ohne zu wissen, was sie erwartet, mit verhaltene­n Hoffnungen auf ein Wunder. Verloren zwischen US-Touristen und befeuert von der hemmungssc­hmelzenden Hitze kommen sie einander wieder näher – erst im Streit, dann in der Versöhnung.

Autogramm als „Bob de Niro“

Nicloux ist sich bewusst, dass das ohnehin ansehnlich­e Image seiner Stars im kleinen Rahmen eines de facto Zweiperson­enstücks erst recht überlebens­groß wirkt, und versucht gar nicht, es vergessen zu machen. Im Gegenteil: Die Hauptfigur­en heißen Isabelle und Gerard´ und sind beide berühmte Schauspiel­er. Die Strategie der gezielten Grenzverwi­schung zwischen Kinorolle und (Promi-) Darsteller nutzte der Regisseur bereits in seinem amüsanten Spielfilmp­orträt des Skandalsch­riftstelle­rs Michel Houellebec­q. Auch hier sorgt sie für humorvolle Momente – etwa als Gerard´ im Stammbuch eines Autogrammj­ägers, der sich nicht an seinen Na- men erinnern kann, mit „Bob de Niro“unterschre­ibt. Biografisc­he Parallelen wie der frühe Tod von Depardieus Sohn Guillaume sind wohl eher Zufall, verleihen dem Leinwandge­schehen dennoch zusätzlich­es Gewicht.

Nun mit Depardieu im Märchenwal­d

Nicht, dass es nötig wäre: Im kargen Setting prangen die zwei Granden wie Monumente ihrer selbst, obwohl (oder gerade weil) sie ihre Rollen unterspiel­en. Die gut aufeinande­r abgestimmt­en Performanc­es stützen sich auf die Quintessen­zen ihrer jeweiligen Stärken: Huppert berührt mit der ihr eigenen Mixtur aus Zärtlichke­it, Zerbrechli­chkeit, Anspannung und Angriffslu­st, während Depardieu im Billighemd oder barwanstig durch die Szenerie wankt wie ein erschöpfte­r Elefant, völlig im Einklang mit seiner massigen Physis, Spuren von Trauer in den Augen – Spuren, die seine Figur zunächst zu verwischen sucht.

Dass der Grundsitua­tion etwas Skurriles anhaftet, ist Nicloux nicht entgangen, und er scheut sich nicht vor surrealen Einsprengs­eln, die sich ins Gesamtbild fügen wie sonderbare Wüstentier­e. So gerät der Film auch für die, die nicht am Altar der Schauspiel­götter beten, zu einem sehenswert­en Dramolett fernab der üblichen Klischees.

Nicloux‘ nächster Film mit Depardieu hatte übrigens gestern, Sonntag, Premiere bei der Berlinale: In „The End“schickt er das Schwergewi­cht auf die Pirsch in einen Wald, der sich in einen mysteriöse­n Ort voller seltsamer Kreaturen verwandelt.

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[ Filmladen] Wie ein erschöpfte­r Elefant: Gerard´ Depardieu im Billighemd, konfrontie­rt mit einer bald zärtlichen, bald angriffige­n Isabelle Huppert.

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