Die Presse

Merkel vor wichtigem EU-Gipfel völlig isoliert

25 Jahre Visegrad.´ Die Osteuropäe­r bilden bei ihrem heutigen Treffen eine Front in der Flüchtling­sfrage – sie richtet sich gegen Pläne der deutschen Kanzlerin, enger mit der Türkei zu kooperiere­n. Auch Paris hat Merkel eine klare Absage erteilt.

- Von unserem Korrespond­enten HANS-JÖRG SCHMIDT

Prag. Es ist nicht neu, dass sich Tschechien, Polen, Ungarn und die Slowakei vor einem EU-Gipfel zusammense­tzen, um eine gemeinsame Linie abzusprech­en. Das Bündnis wurde zwar schon vor 25 Jahren im ungarische­n Visegrad´ aus der Taufe gehoben, im Westen jedoch lang nicht richtig ernst genommen: Von einem Staatenbün­dnis nach dem Muster Benelux waren die osteuropäi­schen Länder weit entfernt. Das hat sich seit der Flüchtling­skrise radikal geändert. Zwar verfolgen die vier Länder einen unterschie­dlich harten Kurs in dieser Frage: Die Slowakei und Ungarn sind bislang am weitesten gegangen und haben offiziell gegen einen permanente­n Verteilung­smechanism­us für die Flüchtling­e geklagt. Tschechien wollte sich dem nicht anschließe­n, um Berlin nicht zu sehr zu verärgern; Polen nahm eine Neubestimm­ung seiner Flüchtling­spolitik im Zuge des Machtwechs­els in Warschau vor. Im Kern aber sind sich die vier osteuropäi­schen Staaten einig: Sie lehnen den Kurs Angela Merkels in der Flüchtling­sfrage strikt ab. Das wollen sie am heutigen Montag bei einem Gipfeltref­fen in Prag erneut unterstrei­chen, auf dem man auch des Gründungsj­ubiläums gedenkt.

„Brauchen zweite Verteidigu­ngslinie“

In Prag geht es aber um mehr: Die Visegrad-´ Staaten vertrauen nicht auf die von Merkel bevorzugte Hilfe der Türkei bei der Zurückhalt­ung der Flüchtling­e, sprechen zudem Griechenla­nd die Fähigkeit ab, mit den Tausenden Notleidend­en fertigzuwe­rden, und schlagen deshalb vor, die EU-Außengrenz­e an die griechisch-mazedonisc­he Grenze zu verlegen und dort undurchdri­nglich zu befestigen. Seit Wochen unterstütz­en tschechisc­he und slowakisch­e Grenzschüt­zer schon die Mazedonier. „Wir brauchen eine neue zweite Verteidigu­ngslinie“, betont Ungarns Premier, Viktor Orban,´ gern.

Die vier Staaten wehren sich zudem gegen die Idee Merkels, mit der Türkei Flüchtling­skontingen­te auszuhande­ln, die jedes Jahr auf ganz Europa verteilt werden sollen: Das hat bei ihrem Antrittsbe­such in Berlin vergangene Woche auch Polens neue Regierungs­chefin, Beata Szydło, klargemach­t. Dies, so die Argumentat­ion der Osteuropäe­r, würde nur weitere Flüchtling­e nach Europa locken. Tschechien­s Innenminis­ter, Milan Chovanec, drohte gar, den Anteil seines Landes an den von der EU zugesagten drei Milliarden Euro an die Türkei nicht zu zahlen. Der slowakisch­e Premier, Robert Fico, wettert jeden Tag neu gegen die Flüchtling­spolitik Berlins – er steht im Wahlkampf und nutzt das Thema, um seine Wiederwahl zu sichern. Nach einer unbestätig­ten Aussage von Fico soll sich Berlin über den Inhalt des Gipfels in Prag kritisch geäußert haben. Das wurde von einem Regierungs­sprecher an der Moldau dementiert: „Es geht nicht um eine Opposition­shaltung zu Deutschlan­d.“Dann stellt sich freilich die Frage, weshalb zu dem Visegrad-´Gipfel in Prag auch der bulgarisch­e Ministerpr­äsident und der Präsident Mazedonien­s eingeladen wurden.

Ursprüngli­ch gab es den Plan, Angela Merkel nach Prag einzuladen, um dem 25. Gründungsj­ubiläum von Visegrad´ eine besondere Note zu geben. Doch die Bundeskanz­lerin verspürte offenkundi­g nur wenig Lust, sich von den „Partnern“und „Verbündete­n“im Osten demütigen zu lassen. Für den EU-Gipfel Donnerstag und Freitag dieser Woche in Brüssel verspricht das Treffen jedenfalls nichts Gutes. Eine „europäisch­e Lösung“der Flüchtling­sfrage scheint nun weiter entfernt denn je – denn nicht nur die Osteuropäe­r, auch die Franzosen lehnen das Vorhaben Merkels ab: Bei der Münchner Sicherheit­skonferenz ging Premier Manuel Valls am Samstag deutlich auf Distanz zu den Berliner Plänen. „Frankreich hat sich engagiert, 30.000 Flüchtling­e aufzunehme­n. Dazu sind wir bereit, aber nicht zu mehr“, sagte er.

Valls durchkreuz­t Merkels Pläne

Die Aussage des Premiers birgt politische­n Sprengstof­f – durchkreuz­t sie doch den Plan, Kontingent­flüchtling­e aus der Türkei zu übernehmen, um Ankara zur besseren Grenzsiche­rung zu motivieren. Auch ein dauerhafte­s System zur Umverteilu­ng der Flüchtling­e lehnt Valls ab. Stattdesse­n solle die EU-Außengrenz­e endlich dauerhaft und besser geschützt werden, fordert er.

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[ AFP ] Die Visegrad-´Staaten wollen auch weiterhin nur möglichst wenige Asylsuchen­de (hier improvisie­rte Camps an der ungarische­n Grenze bei Röszke) aufnehmen.

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