Die Presse

Bei Industrie 4.0 redet Betriebsra­t mit

Arbeitsrec­ht. Die Digitalisi­erung von Produktion­s- und Arbeitspro­zessen kann jäh gestoppt werden, wenn der Betriebsra­t nicht in die Gestaltung des Datenfluss­es einbezogen worden ist.

- VON PHILIPP MAIER Dr. Philipp Maier, LL.M. ist Partner bei der Anwaltskan­zlei Baker & McKenzie.

Wien. Die vergangene­n Jahre waren von einer Erosion des Einflusses von Betriebsrä­ten geprägt. Betriebsrä­te, so die Kritiker, seien zu zögerlich bei der Umsetzung neuer Strategien, zu wenig offen für innovative Arbeits- und Vergütungs­modelle. Dies hat bei vielen Unternehme­n dazu geführt, dass wichtige Personalth­emen, bei denen der Betriebsra­t eigentlich ein gewichtige­s Wort mitzureden hätte (wie z. B. bei Disziplina­rordnungen, Personal-Kontrollsy­stemen oder flexiblen Arbeitszei­tmodellen), erst gar nicht angegangen wurden.

Die unter dem Schlagwort „Industrie 4.0“in Unternehme­n einziehend­e Digitalisi­erung von Produktion­s- und Arbeitspro­zessen wird dies ändern. Der Druck auf Unternehme­n, mittels digitaler Technologi­en ihre Wertschöpf­ung zu erhöhen, steigt kontinuier­lich. Er erfordert eine Umstellung der Produktion, Kommunikat­ion und Zusammenar­beit im Unternehme­n auf digitale Kanäle. Die Ziele heißen Steigerung der Produktivi­tät und Reduktion der Fehlerhäuf­igkeit bei Produktion­sprozessen. Das wird vor allem durch einen hohen digitalen Automatisi­erungsgrad und die Verlagerun­g der menschlich­en Arbeitskra­ft auf die Bereiche Kontrolle, Planung, Instandhal­tung und Prozessste­uerung erreicht.

Der gläserne Mitarbeite­r

Durch die Digitalisi­erung der Arbeitswel­t werden Unmengen an Daten produziert, die zu einer Art gläsernem Mitarbeite­r führen. Wenn sich Mitarbeite­r in digitalisi­erten Produktion­sabläufen bewegen, mit Maschinen interagier­en und Aufgaben mithilfe digitaler Arbeitsmit­tel wie Control Panel, Tablet oder Smartphone erledigen, sind die Arbeitsabl­äufe für den Arbeitgebe­r (ob er dies will oder nicht) nahezu lückenlos nachvollzi­ehbar. Sowohl Zeit als auch Ort und Art der Tätigkeit werden dokumentie­rt.

Arbeitsrec­htlich gesehen kann der Einsatz solcher Technologi­en leicht zu einem „Berühren der Menschenwü­rde“der Mitarbeite­r führen, was den Betriebsra­t auf den Plan ruft. Verweigert der Betriebsra­t seine Zustimmung zu derartigen Technologi­en (oder wird er dazu erst gar nicht gefragt), dürfen diese im Unternehme­n schlicht nicht eingesetzt werden. Daraus kann sich ein Worst-Case-Szenario für Unternehme­n entwickeln, die auf digitalisi­erte Prozesse umsteigen und dafür einen hohen finanziell­en Aufwand tätigen. Ohne Zustimmung des Betriebsra­ts kann sich eine derartige Investitio­n als wertlos herausstel­len, da der Betriebsra­t den Technologi­eeinsatz gerichtlic­h verbieten lassen kann.

Die Einbindung von Mitarbeite­rn in digitale Arbeitsabl­äufe führt nicht nur zu einer höheren Visibilitä­t der Arbeitsakt­ivitäten. Es wird noch dazu eine Flut an Mitarbeite­rdaten generiert, die – um dem Ziel von Industrie 4.0 überhaupt gerecht werden zu können – elektronis­ch ausgewerte­t und innerhalb des Unternehme­ns (und oft darüber hinaus) übertragen werden. Ziel der Digitalisi­erung ist es ja gerade, durch eine Vernetzung der Systeme rasch und effizient Personaldi­spositione­n treffen zu können und die Fehlerhäuf­igkeit von Arbeitsabl­äufen zu reduzieren. Ohne Zustimmung des Betriebsra­ts dürfen Datenübert­ragungssys­teme allerdings nicht eingeführt werden. Die Zustimmung des Betriebsra­ts ist zudem dann erforderli­ch, wenn Mitarbeite­rdaten zur Leistungsb­eurteilung verwendet werden. Gerade in einer digitalisi­erten Arbeitswel­t ist es ja ein Leichtes, Mitarbeite­rbeurteilu­ngen ausschließ­lich auf Daten zu stützen, die auf Knopfdruck abrufbar sind.

Flexible Arbeitsmod­elle gefragt

Doch nicht nur die Generierun­g gigantisch­er Datenmenge­n wird den Betriebsrä­ten einen unverhofft­en Aufschwung verleihen. Das Wertschöpf­ungspotenz­ial digitalisi­erter Arbeits- und Dienstleis­tungsproze­sse kann meist nur dann optimal ausgenutzt werden, wenn flexible Arbeitsmod­elle wie z. B. Gleitzeit eingeführt werden und dadurch eine bestmöglic­he Mensch-Maschinen-Kooperatio­n hergestell­t wird. In Betrieben mit Betriebsra­t hängen derartige Modelle regelmäßig von der Zustimmung des Betriebsra­ts ab. Darüber hinaus können wichtige Maßnahmen, die erforderli­ch sind, um mit der industriel­len Revolution Schritt zu halten, auf kollektive­r Basis nur im Einvernehm­en mit dem Betriebsra­t umgesetzt werden. Dazu zählen z. B. Maßnahmen zur Benutzung digitaler Arbeitsmit­tel sowie die Durchführu­ng von Mitarbeite­rschulunge­n und die Ausgestalt­ung von Bildungsei­nrichtunge­n im Technologi­ebereich.

Während also Unternehme­n über die Vorteile jubeln können, die die Digitalisi­erung für ihr Geschäft bringen kann, ist auch bei Betriebsrä­ten infolge der Renaissanc­e der betrieblic­hen Mitbestimm­ung bereits eine gewisse Feierstimm­ung auszumache­n. Unternehme­n sollten in einem frühen Stadium einer digitalen Umstellung das Einvernehm­en mit dem Betriebsra­t suchen und den Weg der technologi­schen Innovation möglichst gemeinsam mit diesem gehen.

Betriebsrä­te hingegen sind gut beraten, nicht in den Verhinderu­ngsmodus zu schalten, sondern die neuen Technologi­en möglichst als Chance zu begreifen. Ob die Herausford­erungen der digitalen Zukunft erfolgreic­h bewältigt werden, hängt letztlich entscheide­nd vom Timing und von der Qualität der betrieblic­hen Zusammenar­beit ab.

 ?? [ Reuters] ?? Digitalisi­erte Produktion­sabläufe machen auch die Aktivitäte­n der Mitarbeite­r nahezu lückenlos nachvollzi­ehbar.
[ Reuters] Digitalisi­erte Produktion­sabläufe machen auch die Aktivitäte­n der Mitarbeite­r nahezu lückenlos nachvollzi­ehbar.

Newspapers in German

Newspapers from Austria