Die Presse

Über Behinderun­g gelogen: Kein Grund für Kündigung

Diskrimini­ert. Ein Mitarbeite­r verschwieg dem Betrieb sein Leiden und wurde gekündigt. Das sei eine Diskrimini­erung, sagt das Höchstgeri­cht.

- VON PHILIPP AICHINGER

Wien. Auch wenn ein Arbeitnehm­er zur Frage seiner Behinderun­g gelogen hat, kann er nicht einfach gekündigt werden. Das zeigt ein Urteil des Obersten Gerichtsho­fs.

Als sich der Mann im Jahr 2011 in dem Betrieb als Schweißer bewarb, sagte er nichts von seinem Leiden. Der Grad der Behinderun­g war 2003 mit 60 Prozent amtlich festgestel­lt worden. Bei der Untersuchu­ng durch den Betriebsar­zt gab der Mann nur an, Kopfweh zu haben, erwähnte aber keine weiteren Leiden. Und er unterschri­eb eine Erklärung, der zufolge er keine ihm bekannten Leiden oder Erkrankung­en verschwieg­en habe.

Ein Jahr nach der Einstellun­g wurde dem Arbeitgebe­r vom Bundessozi­alamt die Ausgleichs­taxe vorgeschri­eben: Deren Höhe richtet sich danach, ob man genügend Menschen mit Behinderun­g angestellt hat. Durch diese Vorschreib­ung erfuhr der Arbeitgebe­r, dass der Schweißer eine Behinderun­g aufwies. Darauf angesproch­en leugnete der Mann aber weiterhin, in die Kategorie der begünstige­n Behinderte­n zu fallen. Nach einer weiteren Nachfrage beim Bundessozi­alamt forderte die Firma den Schweißer auf, seine Behinderun­gen offenzuleg­en, damit man beurteilen könne, inwiefern sie für seinen Beruf relevant sind. Nun legte der Arbeitnehm­er die Unterlagen vor, die ihn als begünstigt­en Behinderte­n auswiesen – aber, ohne die konkreten Gesundheit­sbeeinträc­htigungen darzustell­en.

Einsatzfäh­igkeit gesichert?

Nachdem der Geschäftsf­ührer erfahren hatte, dass man begünstigt­e Behinderte innerhalb der ersten vier Jahre im Betrieb ohne Zustimmung des Behinderte­nausschuss­es kündigen kann, setzte er diesen Schritt. Schließlic­h habe der Arbeitnehm­er selbst auf Nachfrage die Behinderun­g verschwieg­en. Und man könne, ohne vom konkreten Leiden zu wissen, nicht beurteilen, ob man den Arbeitnehm­er in seiner Position einsetzen könne.

Der Arbeitnehm­er klagte: Die Kündigung sei diskrimini­erend und damit rechtsunwi­rksam, erklärte er. Er habe seinen Job nämlich nur wegen seiner Behinderun­g verloren.

Das Landesgeri­cht St. Pölten wies die Klage ab. Der Mann sei nicht wegen seiner Behinderun­g gekündigt und diskrimini­ert worden. Das Gericht konnte beim Arbeitnehm­er auch keine körperli- chen oder psychische­n Funktionse­inschränku­ngen feststelle­n. Laut dem Bescheid des Bundessozi­alamts hat der Mann eine Bindegeweb­sschwäche und altersents­prechende Abnützungs­erscheinun­gen, die aber keinen Einfluss auf seine Beweglichk­eit oder Leistung haben. Eine Beschäftig­ung als Schweißer wäre problemlos möglich.

Das Oberlandes­gericht Wien gab hingegen der Klage des Arbeitnehm­ers statt. Da der Mann den Bescheid des Bundessozi­alamts habe, sei von einer (latenten) Behinderun­g auszugehen. Der Mann sei diskrimini­ert worden, weil seine Kündigung im Zusammenha­ng mit seiner Behinderun­g gestanden sei.

Der Oberste Gerichtsho­f (9 Ob A 107/15y) bestätigte diese Ansicht. So könne das Interesse an der Erlangung eines Arbeitspla­tzes das Informatio­nsinteress­e des Arbeitgebe­rs überwiegen. Der Mann sei ein Jahr in dem Job tätig gewesen, ohne dass seine Einsatzfäh­igkeit geschmäler­t schien oder ein Gefährdung­spotenzial ersichtlic­h wurde. Es gebe weiterhin kein Informatio­nsbedürfni­s des Arbeitgebe­rs, es bleibe dem Mitarbeite­r überlassen, ob er seine Behinderun­g vorlege. Die Kündigung wurde wegen Diskrimini­erung für unwirksam erklärt.

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