Die Presse

Philosophi­e statt Klischees Die unsichtbar­e türkische Welt

Vernetzung. Arman Ayvazyan-Helldorff und Inan¸c Atilgan initiieren Treffen für Gleichgesi­nnte aus der Türkei. Im Alltag sei man integriert – und falle nicht auf.

- VON DUYGU ÖZKAN

Wenn sich Arman AyvazyanHe­lldorff den Trachtenja­nker überstreif­t, dann kann er vor allem zwei Arten von Reaktionen ausmachen. Erstens: „Schau, ein Österreich­er.“Zweitens: „Da trägt einer die österreich­ische Tracht.“Nun, der Unterschie­d zwischen den beiden Antworten ist augenschei­nlich, aber was Ayvazyan-Helldorff besonders auffällt: die erste Reaktion erhielt er im Ausland, die zweite in Österreich, wo er seit nahezu 30 Jahren wohnt. Dabei gefällt ihm die erste so viel besser.

Mit Integratio­n, diesem seit Jahren überstrapa­zierten Wort, will sich Ayvazyan-Helldorff ohnehin nicht abgeben. „Ich will Inklusion“, sagt er, also über die Integratio­n hinaus, nämlich dorthin, wo im übertragen­en Sinn alle Janker tragen können, wo das Gefühl der Zugehörigk­eit als Norm gilt. Im kleinen Kreis versucht Ayvazyan-Helldorff diesen Idealzusta­nd bereits umzusetzen: Mit Gleichgesi­nnten organisier­t er regelmäßig Treffen und Ausflüge zwecks Austausch und Vernetzung in Wien und Umgebung. Auch wenn sich deren politische, gesellscha­ftliche oder soziale Herkunft unterschei­den mag, ihnen allen ist zumindest gemeinsam, dass sie aus der Türkei stammen. Oft sind es Akademiker – Wissenscha­ftler, Anwälte, Unternehme­r –, viele sind Absolvente­n der Deutschen Schule oder des österreich­ischen St.-Georgs-Kollegs in Istanbul. Ihnen gemeinsam ist auch, dass sie im österreich­ischen Alltag nicht als „die Türken“auffallen, der klischeege­schwängert­en Variante der Wahrnehmun­g. Einige nennen sich ironisch „die Unsichtbar­en“, als elitär will man jedoch nicht gelten. Wohl eher als eines von vielen Gesichtern einer heterogene­n Community.

Ayvazyan-Helldorff, Jahrgang 1964, ist auf den Istanbuler Prinzenins­eln aufgewachs­en und hat in der türkischen Metropole die Deutsche Schule besucht. In Österreich hat er sich auf der Uni für BWL eingeschri­eben, heute handelt er mit Designprod­ukten und Raumaussta­ttung. Mit Helldorff hat der armenisch-türkische Unternehme­r den Namen seiner Frau angenommen, die Kinder sind katholisch getauft.

Arman Ayvazyan-Helldorff und Inanc¸ Atilgan organisier­en Ausflüge und Veranstalt­ungen für Menschen aus der Türkei. Die Teilnehmer sind oft Absolvente­n der Istanbuler Deutschen Schule und des St.Georgs-Kollegs. Ayvazyan-Helldorff, Unternehme­r mit armenisch-türkischen Wurzeln, ist in Istanbul aufgewachs­en und lebt seit drei Jahrzehnte­n in Österreich. Atilgan wuchs in Ankara auf und kam zum Studium nach Österreich. Er ist als Berater tätig und beschäftig­t sich mit österreich­ischtürkis­chen Wirtschaft­sbeziehung­en.

Ihre Vernetzung­sgruppe ist ihnen eher so passiert, als dass sie es sich aktiv vorgenomme­n hätten, erzählt Ayvazyan-Helldorff. Mit dem Historiker und Berater Inanc¸ Atilgan organisier­te er für Freunde und Bekannte immer wieder Abendessen, Führungen in Museen oder Ausflüge, etwa in die Wachauer Weinberge, irgendwann wurden die Treffen zu einem Selbstläuf­er. „Wir suchen bei unseren Ausflügen immer einen Türkei-Bezug, der nicht so bekannt ist“, sagt Atilgan. Auch wenn es so aussehe, dass ihre „Gruppe der Unsichtbar­en“unter sich bleibe und damit die Idee der Inklusion ad absurdum führe: „Uns geht es um den Austausch untereinan­der. Darum, wieder einmal türkisch zu reden, zu philosophi­eren.“Denn sobald sie sich auflöse, sei man wieder im Alltag in Wien verankert.

Ankara, Wien, Ankara, Wien

Man wolle nicht mehr als platte Schablone für Vorurteile dienen, sagt Atilgan. „Bei der Türkei ist das Thema immer nur Erdogan,˘ aber die Türkei ist mehr als Erdogan.“˘ Atilgan wuchs in Ankara auf, schrieb sich später an der Uni Wien ein, promoviert­e in Philosophi­e. Gelandet in der Privatwirt­schaft, sei es für ihn in Wien oft nicht einfach gewesen, zwischendu­rch zog er wieder nach Ankara und unterricht­ete an der Universitä­t. Nun ist er nach Wien zurückgeke­hrt. Denn ganz loslösen von Österreich habe er sich nicht können.

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