Die Presse

Alles hängt richtig im Jazzmuseum

Wynton Marsalis und sein Lincoln Center Orchestra pflegten im Konzerthau­s die Tradition.

- VON THOMAS KRAMAR

Kann im Jazz noch etwas wirklich Neues kommen? Schon in den frühen Achtzigern zweifelten viele daran. Wynton Marsalis bestätigte sie: Er war der erste große Jazzer, der gar nicht daran dachte, Innovation­en zu suchen, der sich programmat­isch damit begnügte, die Tradition dieser großen afroamerik­anischen Kunst zu pflegen.

Das tut er bis heute. Am konsequent­esten mit seinem Lincoln Center Orchestra, bei dem sogar die Krawatten (grau bis silber) im Dienste eines gut geordneten Ganzen stehen. Alles natürlich erstklassi­ge Ensemblemu­siker und auch Solisten – die aber nie die (auch im akademisch­en Jazz noch gern gepflegte) romantisch­e Illusion nähren, dass sie sich improvisie­rend selbst darstellen könnten. Nein, sie spielen Rollen, und das gut: Wenn etwa Saxofonist Sherman Irby in Dizzy Gillespies „Things to Come“soliert, weiß er, dass er nun in der Nachfolge Charlie Parkers spielt, und lässt entspreche­nd die Bebop-Sechzehnte­l rasen. Oder Walter Blanding in Wayne Shorters „Contemplat­ion“: Selbstvers­tändlich wandelt er in Shorters Spuren.

So spazierte man durch die Jazzgeschi­chte, beginnend mit dem „Dead Man Blues“aus dem alten New Orleans, in dem noch der Zweivierte­ltakt marschiert­e. Gleich darauf, quasi am anderen Ende des Spektrums, Charlie Mingus’ „Self Portrait in Three Colors“, beständig cool.

„Mood Indigo“, „Dal´ı“, „Pollock“

Natürlich kam einiges von Gershwin: die „Rhapsody in Blue“, in der das Blech schön aus dem Nebel strahlte; „I Got Rhythm“mit Trompeten-Stakkati, noch schärfer als die Bügelfalte­n der Musiker; „Summertime“, wo Victor Gaines am Sopransaxo­fon dann doch nicht nur „in the style of Sidney Bechet“spielte, wie Marsalis angekündig­t hatte. Als „Classic of Classics“stellte er Ellingtons „Mood Indigo“vor: Hier berührte das verhaltene Trio aus Posaune, Trompete und Klarinette.

Gar keine Eigenkompo­sitionen? Doch. „The Bronx“von Bassist Carlos Henriquez, mit Latin-Anklängen, wie man sie in den Fünfzigerj­ahren schätzte. Und zwei hübsch verquere, wenn auch nicht gerade surrealist­ische oder pointillis­tische Stücke von Saxofonist Ted Nash, „Dal´ı“und „Pollock“. Das wäre in der E-Musik undenkbar: Dass einer heute nicht nur schreibt wie Mozart, sondern seine Stücke auch Malern aus dessen Zeit widmet. Im Jazz ist es völlig akzeptiert, und das ist gut so.

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