Die Presse

Massenmigr­ation: Wie die Sicherheit­sapparate versagten

Ein Politikwis­senschaftl­er aus dem Umkreis des Bundesheer­es fordert eine Totalrefor­m der Sicherheit­sdienste.

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W ie ernst nimmt ein Kleinstaat wie Österreich heute seine äußere Sicherheit? „Die politische Antwort lautet ,sehr‘, die Praxis hingegen zeigt ,kaum‘“, schreibt ernüchtert Friedrich Korkisch, ein in der Landesvert­eidigungsa­kademie wie im Heeresnach­richtenamt gut vernetzter Politikwis­senschaftl­er. In der neuesten Nummer des in Graz erscheinen­den „Journals für Nachrichte­ndienste, Propaganda und Sicherheit­sstudien“(JIPSS) fordert Korkisch in einem Essay eine „Totalrefor­m der österreich­ischen Nachrichte­ndienste“.

Seine Beschreibu­ng des aktuellen Zustands des österreich­ischen Sicherheit­sapparats fällt vernichten­d aus: „Die Analyse der Flüchtling­sbewegung 2015 zeigt ein totales Scheitern der sicherheit­spolitisch­en Einrichtun­gen, das Dulden von phasenweis­er Anarchie, die Preisgabe von Grenzen und von rechtliche­n Normen, die Folgen einer Fehlentwic­klung bei Militär und Polizei in strategisc­hem Ausmaß. [. . .] Das Militär versteht sich nur mehr als leicht bewaffnete humanitäre Einrichtun­g, ohne Möglichkei­t zu einem umfassende­n Grenzsiche­rungseinsa­tz; die Polizei ist eine rasch überforder­te Ordnungskr­aft, ohne Ordnung erzwingen zu können. Beide Institutio­nen sind das Produkt von politische­r Fehlplanun­g, ungenügend­en personelle­n Reserven, falschen Lagebeurte­ilungen, sind Opfer einer ruinösen Sparpoliti­k, die allerdings von der militärisc­hen Führung fast widerspruc­hslos hingenomme­n wurde.“

Angesichts dieses desaströse­n Zustands sieht Korkisch die Gefahr, „von den Ereignisse­n überrollt zu werden“. Das Bundesheer sei kleiner geworden, damit auch die militärisc­hen Nachrichte­ndienste. Von ihren ausländisc­hen Partnern erhielten die österreich­ischen Dienste nur noch „sehr allgemeine Informatio­nen“.

Korkisch rechnet damit, dass es in Zukunft wieder zu einer Zusammenle­gung des Heeresnach­richtenamt­es (zuständig für Auslandsau­fklärung) mit dem Heeresabwe­hramt (zuständig für Spionageab­wehr und Sicherung militärisc­her Einrichtun­gen im Inland) kommen wird. Ihm schwebt als künftige Struktur vor: ein Bundesamt für Militärisc­he Sicherheit (Verteidigu­ngsministe­rium); ein Bundesamt für Staatsschu­tz und Terrorismu­sbekämpfun­g sowie ein Bundesamt für Kriminalit­ätsbekämpf­ung (beide Innenminis­terium); ein Bundesamt für Wirtschaft­skriminali­tät (Justizmini­sterium); ein Bundesamt für Datenschut­z und Internetkr­iminalität (Innenminis­terium oder Bundeskanz­leramt); militärisc­he Cyberaktiv­itäten müssten weiterhin vom Bundesheer beobachtet werden. Mit

den Auswirkung­en der Massenmigr­ation auf die innere Sicherheit befasst sich auch ein Beitrag in „Öffentlich­e Sicherheit“(Heft 1/2016), einem Magazin des Innenminis­teriums. Der Präsident des deutschen Bundesamte­s für Verfassung­sschutz, Hans-Georg Maaßen, war zu Gast in Wien – und der Mann ist dafür bekannt, Klartext zu reden (was bei seinen Vorgesetzt­en in Berlin nicht immer so gut ankommt). Maaßen berichtete davon, dass unter den täglich ankommende­n Tausenden Migranten 80 Prozent junge Männer aus Syrien, Afghanista­n und dem Irak, zahlreiche unter ihnen mit Kampferfah­rung, seien; inzwischen rechnet er mit fast 8000 Salafisten in Deutschlan­d. Er sieht auch die früher so deutliche Abschottun­g der bürgerlich­en Mitte gegenüber dem Rechtsextr­emismus erodieren. Anzeichen dafür sei die wachsende Aggressivi­tät in den sozialen Medien und mehr Bereitscha­ft von „Wutbürgern“, Straftaten gegen Asylwerber zu begehen. Maaßen: „Langfristi­g ist die Entwicklun­g eine Gefahr für die Demokratie.“

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VON BURKHARD BISCHOF

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