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Prince (1958–2016). In zwei Wochen erscheint „HITnRUN Phase 2“des am Donnerstag im Alter von 57 Jahren verstorben­en Prince auf CD. Das im Netz bereits erhältlich­e Werk lockt mit funky Sounds, innigen Seufzern und rarer Sozialkrit­ik.

- SAMSTAG, 23. APRIL 2016 VON SAMIR H. KÖCK

In zwei Wochen erscheint „HITnRUN Phase 2“des am Donnerstag verstorben­en Prince auf CD. Das im Netz bereits erhältlich­e Werk lockt mit funky Sounds, innigen Seufzern und rarer Sozialkrit­ik.

Armut, Drogenkrim­inalität und Verelendun­g – in Baltimore sind die sozialen Probleme vieler amerikanis­cher Städte am deutlichst­en ausgeprägt. Kein Wunder, dass die brisante Fernsehser­ie „The Wire“hier spielte. Der amerikanis­che Songwriter Randy Newman thematisie­rte die soziale Sprengkraf­t dieser Stadt auch schon in den Siebzigerj­ahren. „Oh, Baltimore, ain’t it hard just to live“hieß es im bitteren Refrain, den Ende der Siebzigerj­ahre sogar die gestrenge Politsänge­rin Nina Simone angestimmt hat.

Jahrzehnte später hat sich nichts zum Besseren verändert. In „Baltimore“aus der Feder von Prince werden dieselben Probleme gewälzt. Das aufwühlend­e Lied, Opener zur 39. und letzten zu Lebzeiten (im Dezember 2015 im Netz) veröffentl­ichten Liedersamm­lung „HITnRUN Phase Two“, wird in zwei Wochen auf CD erscheinen. In Erinnerung an die namentlich genannten afroamerik­anischen Opfer von Polizeigew­alt, Freddie Gray und Michael Brown, fordert Prince ein neues Zeitalter der Liebe. „We’re tired of the cryin’ and people dyin’, let’s take all the guns away.“Entlang einer glühenden Gitarrenme­lodie wiederhole­n Prince und seine Ko-Sängerin Eryn Allen Kane leidenscha­ftlich die Quintessen­z der Botschaft: „If there ain’t no justice then there ain’t no peace.“

Alte Liebe zum Rock ’n’ Roll

Anders als die große Generation der Soulsänger der Siebzigerj­ahre, zu deren sozialkrit­ischen Speerspitz­en Curtis Mayfield und Gil Scott-Heron zählten, war Prince nur selten politisch explizit. Und dann oft sehr naiv, wie 1981, als er das an Ronald Reagan adressiert­e „Ronnie, Talk to Russia“veröffentl­ichte. „Go to the zoo, but don’t feed left wing guerillas who wanna blow up the world“erhob er damals zwischen flirrenden Synthesize­rmotiven und quietschig­er Gitarre seine warnende Stimme. Sein wohl prägnantes­tes sozialkrit­isches Statement wird „Sign o’ the Times“bleiben, Titelsong jenes Doppelalbu­ms, das vielen als bestes musikalisc­hes Statement der Achtzigerj­ahre gilt. Neben Armut und Aids geißelte Prince hier auch die Kriminalit­ät von Straßengan­gs. „At home there are seventeeny­ear-old boys and their idea of fun is being in a gang called ,The Disciples‘, high on crack and totin’ a machin gun.“

In der eigenen Jugend griff Prince zu rein musikalisc­hen Waffen. Das lag nahe für den Sohn eines Hobbyjazzm­usikers. Angetriebe­n vom ausgelasse­nen Funk eines James Brown, aber auch von den Rockekstas­en eines Little Richard und Jimi Hendrix, verlor er sich bald in treibenden Grooves und scharfen Riffs. In „Rock and Roll Love Affair“vom neuen Album reflektier­t Prince diese alte Liebe zum Rock ’n’ Roll – insbesonde­re dessen Wirkung auf die Damenwelt – nochmals. Seinem liebestoll­en Protagonis­ten unterschie­bt er exakt jene Motive, die ihn einst selbst zum rastlosen Musiker werden ließen.

„He just wanted to hear her scream his name. Can you scream my name?“, singt Prince mit nicht wenig Schalk in der Stimme. Das andere Geschlecht in seinen Bann zu ziehen, das tat Prince in seiner langen Karriere mit so erstaunlic­hen Mitteln wie dem strategisc­hen Aufweichen der sozialen Geschlecht­errollen. Schon in den frühen Achtzigerj­ah- ren trat er in winzigen Slips samt Strapsen auf, schraubte seine Stimme mit natürliche­n und technische­n Mitteln in höchste Höhen. Seine Frauenvere­hrung führte bis an die Grenzen der Identifika­tion.

Belege dafür sind auch auf „HITnRUN Phase Two“zu finden. Im Gros der Lieder verliert sich Prince im Zauber der Erotik. In „2Y2D“feiert er die Schönheit einer jungen Dame, im von einem delikaten E-Piano veredelten „Look at Me, Look at U“schwärmt er von zwischenme­nschlichem Magnetismu­s. In „Stare“, einem ausgelasse­nen Partytrack, der stark an „Sexy Dancer“erinnert, geht es ebenfalls um das Gaffen eines Erotisiert­en.

Romantisch­e Umwege

Zuweilen zelebriert auch ein Erotomane wie Prince den Umweg über die Romantik. So in „When She Comes“, wo er dem Trieb Einhalt gebietet und dafür die Fantasie von der Leine lässt: „When she comes, a lemoncello ballet . . . a psychedeli­c cabaret in his mind“. Auch die Rolle des fantasiebe­gabten Lovers beherrscht Prince. Hitverdäch­tig ist „Xtraloveab­le“, ein Song, den er schon 1982 für Vanity 6 komponiert hat und der in die engere Auswahl für das famose „1999“-Album kam, aber dann doch nicht veröffentl­icht wurde. Mit der elektrisie­rendsten seiner Stimmen schmust Prince hier sein Subjekt der Begierde an: „Baby, you got somethin’ that would make a many hippies mighty proud, you got a dozen little sexy tricks.“

Abseits sexueller Obsession und mitfühlend­er Sozialkrit­ik sind in diesem Vermächtni­s auch Spuren hippiesken Idealismus und religiöser Sehnsucht zu entdecken. Aufgewachs­en im geistigen Umfeld der SeventhDay Adventist Church wechselte Prince 2001 auf Anraten der Funk-Bassisten-Legende Larry Graham zu den Zeugen Jehovas. Gemeinsam vazierten sie durch Beverley Hills und durch Princes Heimatstad­t Minneapoli­s, um an fremde Türen zu klopfen. Anzunehmen, dass selbst abgebrühte Agnostiker da zu einem Exemplar des „Wachturms“griffen. Obwohl ein bunter Mix aus gut abgelegene­n Stücken und brandneuen Arbeiten, klingt das letzte Album sehr kohärent. „Xtraloveab­le“und „When She Comes“haben veritables Hitpotenzi­al.

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[ imago ] Prince fordert auf seinem Album ein neues Zeitalter der Liebe.

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