Die Presse

„Islamisten suchen gezielt Frauen“

Interview. Junge Männer aus Europa strömen nicht mehr so stark wie früher zum bedrängten IS, sagt Radikalisi­erungsexpe­rtin Dantschke. Dafür wirbt die Terrormili­z vermehrt um Mädchen.

- VON ERICH KOCINA

Die Presse: Die Terrormili­z IS ist derzeit nicht so erfolgreic­h. Wirkt sich das auf die Radikalisi­erung von Jugendlich­en aus? Claudia Dantschke: Zumindest bei männlichen Jugendlich­en ist es ein bisschen gestoppt. Was aber nach wie vor läuft, ist die Rekrutieru­ng von Mädchen und Frauen.

Warum gerade Frauen? Es wird seit etwa zwei Jahren massiv in Mädchengru­ppen im Netz geworben. Als zweite, dritte, vierte Ehefrau eines Jihad-Kämpfers. Die Mädchen dort sind angehalten zu rekrutiere­n. Sie geben bei ihren Freundinne­n an, wie toll es ist.

Kommt da eine Bestellung aus dem IS-Gebiet? Alle in Syrien kommunizie­ren mit Freunden, Eltern, der Szene. Teilweise mischen sich Rekruteure in Jugendchat­gruppen und merken, wer eventuell ansprechba­r ist. Ich habe einen Fall, dass in einer muslimisch-konservati­ven Chatgruppe nach dem Attentat in Brüssel debattiert wurde, dass das nicht in Ordnung ist. Ein Mädchen scherte da völlig aus. Da versteifte sich die Gruppe auf sie – mit dem Effekt, dass sie sich zurückgezo­gen hat. Und damit machte sie sich für Rekruteure ansprechba­r. Das Mädchen ist hochgradig ausreisege­fährdet. Sympathieb­ekundungen sind ein Alarmsigna­l. Man muss da vorsichtig sein, um niemanden in die Ecke zu treiben.

Und wer wird radikalisi­ert? Jugendlich­e aus allen Milieus konvertier­en in eine radikale Ideologie hinein. Wenn sie Muslime sind, haben sie den Islam daheim maximal in einer traditione­llen Richtung kennen gelernt. Oder sie kommen aus weltlichen Familien, in denen der Islam Teil der Herkunft ist, aber nicht gelebt wird. Selten gibt es eine vertiefte Gläubigkei­t.

Sie haben ja auch den Begriff des Pop-Jihad geprägt. Die Popstars sind die Mudjaheddi­n

(geb. 1963) leitet die Beratungs- und Deradikali­sierungsst­elle Hayat, die sich um Jugendlich­e kümmert, die von Radikalisi­erung bedroht sind. Dabei läuft der Kontakt vor allem über die Eltern der Betroffene­n. Durch ihre Arbeit konnte die gebürtige Leipzigeri­n auch schon Jugendlich­e zurück nach Deutschlan­d holen, die bereits beim IS in Syrien waren. im Irak und in Syrien. Viele Jugendlich­e haben von salafistis­cher Theologie kaum eine Ahnung, alles wird verkürzt auf hohle Phrasen. Früher hatten wir eine Art stufenweis­e salafistis­che Radikalisi­erung, man stellte sein Leben komplett um, besuchte mehrtägige Seminare, kapselte sich völlig von der Umwelt ab.

Das machen die Pop-Jihadisten nicht mehr? Nur punktuell. Ein bisschen praktizier­en, ein paar Floskeln, aber sonst ist es eher das Zugehören zu einer Gruppierun­g. Die hören sich auch im Netz nicht mehr einstündig­e Predigten an. Das ist denen viel zu lang, die haben eine Aufmerksam­keitsspann­e von fünf, maximal zehn Minuten.

Und da wirkt die IS-Propaganda? Die Videos müssen kurz geschnitte­n und hip sein, das bieten IS-Medien. Wer den längeren, ideologisc­hen Radikalisi­erungsweg hinter sich hat, geht nicht zum IS, sondern zu Jabhat al-Nusra. Den zu deradikali­sieren ist viel schwierige­r als einen Jungen, der beim IS Action, Abenteuer, Männlichke­it sucht. Langfristi­g sehe ich al-Qaida als gefährlich­er an als den IS. Da ist mehr – unter Anführungs­zeichen – Qualität dahinter. Es gibt hier ja auch die Koranverte­iler der Initiative „Lies“. Die sind gefährlich. Sie haben es mit ihrer Aktion geschafft, weit in den Mainstream hinein auf Sympathie zu stoßen. Die Jugendlich­en gehen dann mit Fragen zum Islam nicht in die Mainstream-Nachbarmos­chee, sondern zu den radikalen Predigern der „Lies“-Aktion. In den Hinterzimm­ern findet dann die eigentlich­e Radikalisi­erung statt.

Gibt es ein direktes Netzwerk der Leute von „Lies“mit dem IS? Von den bekannten Predigern in Deutschlan­d spricht sich keiner für den IS aus. Teilweise sogar dagegen. Aber man darf nicht sagen, wer sich vom IS distanzier­t, distanzier­t sich vom Jihadismus. Besonders deutlich wird das an Pierre Vogel, der sich nach den Anschlägen von Paris vom Terror distanzier­t hat. Für den IS ist er ein Abtrünnige­r. Das sehen die deutschen Anhänger der Jabhat al-Nusra nicht so streng und verteidige­n ihn.

Die Ideologie bedeutet auch Verzicht. Warum macht man das? Das ist ja das Absurde. Wir haben mit Jugendlich­en gesprochen, wie sie sich das Paradies vorstellen. Diese Vorstellun­g ist sehr plakativ, all das, was sie jetzt haben könnten, verlagern sie auf das Leben nach dem Tod. Da können sie Party machen für die Ewigkeit.

Welche Aufgaben übernehmen die Leute aus Europa im Kalifat? Für den IS sind die Wohlstands­kinder nicht die ersehnten Kämpfer, die sind billiges Kanonenfut­ter. Aber sie sind wichtig für das Image und teilweise für die Struktur, etwa Polizeidie­nst. Gib einmal so einem Jungen Macht, da entwickeln sich einige sehr extrem. Aber die richtigen Kämpfer an der Front sind Tschetsche­nen und Nordafrika­ner.

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[ Gordon Welters/laif/ Claudia Dantschke hält die ideologisc­h geprägte al-Qaida langfristi­g für gefährlich­er als den IS, der vor allem orientieru­ngslose Jugendlich­e anzieht.

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