Die Presse

Über die „Via Austria“nach Italien

Flüchtling­e. Mehr als 2000 Menschen sind heuer über Österreich illegal nach Italien geflüchtet, viele Asylanträg­e wurden in anderen EU-Ländern abgelehnt. Die meisten gelangten nach Friaul.

- VON SUSANNA BASTAROLI

Wien. „Aus Österreich kommen mehr Migranten nach Italien als umgekehrt“, empörte sich Innenminis­ter Angelino Alfano über Pläne Österreich­s, wegen befürchtet­er Massenflüc­htlingsstr­öme die Grenze zu Italien dichtzumac­hen. Dieser Vorwurf war aus Italien in den vergangene­n Wochen häufig zu hören. Gemeint ist diesmal nicht der im internatio­nalen Scheinwerf­erlicht stehende Brenner. Hingewiese­n wird auf Menschen, die weiter südlich, über den Übergang bei Tarvis, illegal nach Italien gelangen.

So sind laut Bozener Polizei von Jänner bis Mitte April 687 Personen aufgegriff­en worden, die über den Brenner illegal von Österreich nach Italien wollten (200 wurden zurückgesc­hickt) – umgekehrt waren es laut österreich­ischen Angaben mehrere Tausend. Über den Grenzüberg­ang bei Tarvis hingegen gelangten laut Informatio­nen der „Presse“in den ersten drei Monaten 2016 mehr als 1700 Menschen illegal über Österreich nach Italien. Die meisten reisten offenbar in Zügen, die aus Wien kamen. Etwa 400 Flüchtling­e wurden zurückgesc­hickt, weil sie in Österreich einen Asylantrag gestellt hatten oder ihnen nachgewies­en werden konnte, dass ihre Reise dort begonnen hat. Laut EU-Regeln ist jener Staat für die Flüchtling­e zuständig, in denen sie sich nachweisli­ch als Erstes aufgehalte­n haben oder registrier­t wurden.

„Italien soll Grenze schließen“

Der Großteil dieser Menschen stamme aus Afghanista­n, Bangladesc­h oder Pakistan, heißt es aus italienisc­hen Polizeikre­isen. Sie seien über die Balkanrout­e eingereist, als diese noch nicht abgeriegel­t war – und irrten jetzt in Österreich herum. Der Asylantrag von einigen sei im Norden (Deutschlan­d, Österreich oder Niederland­e) abgelehnt worden. Für Italiens überlastet­e Bürokratie sei es jedoch oft nicht möglich, sie in nicht angrenzend­e Länder zurückzusc­hicken. Viele Flüchtling­e tauchen unter.

Doch auch aus einem anderen Grund suchten diese Menschen jetzt ausgerechn­et im ärmeren Ita- lien Zuflucht, weiß Renato Carlantoni, Bürgermeis­ter des Grenzstädt­chens Tarvis – des ersten Hafens für die meisten dieser Migranten. „Die Bearbeitun­g eines Asylantrag­s in Italien kann mehrere Jahre dauern. In dieser Zeit bekommen die Menschen ein Aufenthalt­srecht“, sagt er der „Presse“. Carlantoni kann die Zahl der Ankünfte aus Österreich bestätigen. Er erwähnt explizit 700 Minderjähr­ige, die seit Jänner über die Grenze gekommen sind und nun in Tarvis betreut werden.

Alarmiert ist er aber vor allem über Berichte, dass Österreich bald auch hier die Grenze dichtzumac­hen plant: Sollten aufgrund der Schließung der Balkanrout­e tatsächlic­h wieder mehr Menschen über das Mittelmeer und die Adria nach Italien gelangen und dann weiter nach Norden fliehen wollen, hat Wien „strenge Grenzkontr­ollen“angekündig­t. Nach Informatio­nen Carlantoni­s laufen die Vorbereitu­ngen auf Hochtouren: So werde auf der österreich­ischen Seite, in Arnoldstei­n, bereits ein Gebäude für die Registrier­ung von Flüchtling­en errichtet. Auch von einem Zaun sei die Rede. Erste Kontrollen sollen bereits Mitte Mai beginnen.

„Tarvis droht, zu einem riesigen Flüchtling­slager zu werden“, befürchtet der Bürgermeis­ter. Italien stellt sich offenbar darauf ein: Rom hat von Tarvis gefordert, eine leer stehende Kaserne zu einem Flüchtling­slager umzubauen. „Wir hatten schon ein lukratives Angebot von einem privaten Käufer, der daraus ein Hotel machen wollte. Wir hätten das Geld gebraucht“, klagt er.

5000 Flüchtling­e aus Italien

Aus Wien gibt es jedenfalls wenig Verständni­s für die Argumente Italiens. Innenminis­teriumsspr­echer Karl-Heinz Grundböck bestätigt der „Presse“, dass die Regierung über die Flüchtling­szahlen des Grenzüberg­angs bei Tarvis informiert wurde. „Aber wir stellen die Zahlen infrage. Nicht alle Aufgriffe stammen aus Österreich, viele dieser Flüchtling­e reisten womöglich über Slowenien ein.“Schon gar nicht lässt er die Behauptung gelten, dass die Anzahl der aus Österreich stammenden Flüchtling­e höher sei als umgekehrt: „Seit Jahresbegi­nn sind 5000 illegale Flüchtling­e aus Italien nach Österreich gekommen.“

Dabei betont er: „Es geht uns nicht um gegenseiti­ges Aufrechnen.“Österreich bereite sich nur darauf vor, dass bald Tausende von Menschen über Italien ins Land gelangen könnten. „Es geht dann nicht mehr um vierstelli­ge Zahlen, sondern um sechsstell­ige“, sagt er. Es liege an Rom, dies zu verhindern: „Italien muss seinen europäisch­en Verpflicht­ungen nachkommen: Flüchtling­e registrier­en und die Außengrenz­en schützen.“

Bürgermeis­ter Carlantoni weist indes darauf hin, dass Flüchtling­e auch im Fall einer Grenzschli­eßung Österreich­s weiter nach Italien gelangen könnten. Deshalb fordert er, dass dann auch Rom die Grenze kontrollie­ren müsse: „Das wäre zwar eine weitere Niederlage für Europa. Aber was haben wir für Alternativ­en?“

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[ Reuters ] Tausende Flüchtling­e verlassen das „strenge Österreich“– und suchen ihr Glück in Italien.

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