Die Presse

Die Mafia unterwande­rt Don Camillos Heimatort

Italien. Brescello in der Poebene, wo die berühmten „Don Camillo und Peppone“-Filme entstanden, ist von Kriminelle­n unterwande­rt. Das Städtchen steht nun unter Staatsaufs­icht.

- Von unserem Korrespond­enten PAUL KREINER (ROM)

Jetzt übertreibe­n sie aber! Jetzt gelten auch noch Don Camillo und Peppone als Mafiosi. Abgehört hat man sie. Verhaftet. Demnächst beginnt der Prozess, dessen Ende schon vorab feststeht.

In Brescello jedenfalls sehen die Leute das wirklich so düster. Brescello, das 5600-Seelen-Städtchen mitten in der allerplatt­esten Po-Ebene, die man sich vorstellen kann, ist die Heimat der literarisc­hen Figuren Don Camillo und Peppone. Hier, beziehungs­weise in dem fiktiven Dorf namens Boscaccio, für das Brescello später auch bei den Verfilmung­en als Kulisse diente, haben der katholisch­e Pfarrer und der kommunisti­sche Bürgermeis­ter – einander näher, als sie zugeben wollten – ab 1946 ihre Dauerfehde ausgetrage­n. In der Kirche hängt heute noch das Kruzifix, von dem der Herr einfühlsam­e Zwiesprach­e mit Don Camillo hielt. Oder war’s nur mit dessen Darsteller, dem französisc­hen Schauspiel­er Fernandel?

Und plötzlich die Bösen

In Brescello geht jedenfalls alles bunt durcheinan­der: Film und Wirklichke­it. 40.000 Touristen kommen jedes Jahr, um die echte Kirche des schlitzohr­igen Kino-Pfarrers zu sehen, und nicht wenige hinterlass­en Bittbriefe an Don Camillo um Hilfe in allen Lebenslage­n, so wie Italiener sie gern an den wunder- tätigen Heiligenst­atuen des Landes hinterlass­en. Doch genau dieses Brescello, das reale, hat jetzt selbst ein Riesenprob­lem: Es heißt Mafia.

Diese Woche hat die italienisc­he Regierung nämlich die gewählte Gemeindele­itung von Brescello aufgelöst und den Ort einem staatliche­n Zwangskomm­issar unterstell­t. Die Ermittler, so lautet die Begründung aus Rom, hätten in der Stadtverwa­ltung „Formen der Beeinfluss­ung durch die organisier­te Kriminalit­ät festgestel­lt“.

„Jetzt heißt es, ganz Brescello sei mafiös“, wehrt sich der reale Don Camillo von heute, Don Evandro Gherardi: „Dabei können wir nichts dafür, dass bei uns einige Mafiosi wohnen. Ins Leben unserer Leute ist die Mafia nicht vorgedrung­en.“

Bürgermeis­ter Peppone wiederum, heute realiter Marcello Coffrini genannt, aber wie auch Peppone einer von den Linken, bestreitet die Vorwürfe der Regierung. Davon, dass die Gemeindeve­rwaltung kriminell durchsetzt sei, habe er nichts gemerkt: „Es war auch nie ein Mafioso im Rathaus.“

Coffrini selbst war es indes, der die Mafia-Ermittler auf Brescello gestoßen hat. Dort leben seit Jahrzehnte­n etliche verdächtig­e Kalabrier, darunter zumindest ein wegen Mafia-Umtrieben rechtskräf­tig verurteilt­er ’Ndrangheta-Boss. Ausgerechn­et für diesen, Francesco Grande Aracri, hat der Bürgermeis­ter vor zwei Jahren auffallend lobende Worte gefunden. Ein „höflicher, wohlerzoge­ner Mann“sei das, eine „brava persona“, sagte Coffrini. Da wollten die Carabinier­i doch einmal genauer nachschaue­n, wie der Bürgermeis­ter das gemeint hatte; die Staatsanwa­ltschaft ließ alle Akten der Gemeinde durchstöbe­rn. Das hatte schließlic­h diesen Jänner den vorsorglic­hen, aber nicht ganz freiwillig­en Rücktritt des Bürgermeis­ters zur Folge. Und jetzt ist sogar die gesamte Gemeindefü­hrung entmachtet.

Der Süden unterwande­rt den Norden

Der Fall Brescello fügt sich den Ermittlern zufolge lückenlos ein in das, was in der ganzen Gegend zwischen Bologna, Parma und Reggio Emilia passiert ist – in dieser reichen, industriel­l, landwirtsc­haftlich und bei der Lebensmitt­elverarbei­tung hochproduk­tiven Region. Hier soll die ’Ndrangheta systematis­ch die Verwaltung unterwande­rt, lukrative staatliche Bauaufträg­e abgegriffe­n, Geld aus Drogen- und Waffenhand­el gewaschen, Beamte bestochen, Widerstreb­ende eingeschüc­htert und Kommunalwa­hlen in ihrem Sinne gesteuert haben. In der Region Emilia habe eine „richtiggeh­ende Vergiftung der Zivilgesel­lschaft“stattgefun­den, schreibt die Nationale Antimafia-Agentur.

Aus dem Grund findet der seit Jahrzehnte­n größte Mafiaproze­ss Italiens derzeit auch in der Emilia statt, und nicht, wo man eher vermuten würde, auf Sizilien oder in Kalabrien. Weil kein Justizgebä­ude die knapp 240 Angeklagte­n hätte fassen können, wurden Messehalle­n in Bologna und Reggio Emilia zu Hochsicher­heitsgeric­htssälen umgebaut. Verantwort­en müssen sich nicht nur irgendwelc­he ohnehin verdächtig­e Bosse und Clanmitgli­eder, sondern auch unscheinba­re Politiker, Staatsbedi­enstete, Unternehme­r, Journalist­en, ja sogar ein Fußballer aus dem italienisc­hen Weltmeiste­rschaftste­am von 2006: Vincenzo Iaquinta, der noch vor Kurzem – obwohl aus Kalabrien stammend – behauptet hat, er wisse überhaupt nicht, was die ’Ndrangheta sei.

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Bozen Venedig Adria

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