Tomaten auf den Augen
Manchmal
machen Eltern seltsame Dinge, bei denen kinderlose Menschen oft fassungs- und ratlos zusehen. Um das für Kleinkinder abscheuliche Ritual des Haarewaschens erträglicher zu machen, soll es schon vorgekommen sein, dass ein Elternteil als Friseurzauberer verkleidet (Wie man sich als Friseurzauberer verkleidet? Gute Frage!) das Bad betritt, das Kind in der Wanne mit einer Riesenshow ablenkt und ihm nebenher unbemerkt die Haare einseift.
Oder beim Essen. Da wird nicht selten tief in eine fragwürdige Trickkiste gegriffen, um den Speiseplan abseits der Kinderklassiker (Nudeln, Nudeln und Nudeln) zu erweitern. Da wurde etwa schon Bolognese-Sauce mit Lebensmittelfarbe rosa gefärbt und als spezielle Prinzessinnensauce verkauft. Oder Obst und Gemüse nur in farblich passenden Schüsseln serviert, weil der Nachwuchs Bananen nur aus gelben, Kiwis nur aus grünen Schüsseln mag. (For the records: Die Beispiele stammen glücklicherweise nicht alle aus meinem Leben.) Vor einigen Jahre habe ich – mir fehlt die Erinnerung, aber ein Foto dient leider als Beweis dieser Untat – aus Kartoffelpüree ein gar seltsames Männchen geformt, ihm aus Erbsen Augen und Mund verpasst, Fischstäbchen stellten Arme und Beine dar. Ein deformiertes Geschöpf in Zartgelb, das es in vergrößerter Form locker als Kinderschreck in jede Geisterbahn schaffen würde.
Statt zum normalen Mittagessen rufe ich derzeit ab und zu zur Blindverkostung. Dabei probieren wir mit geschlossenen Augen Gemüse- und Kartoffelsorten. Wer die Probe richtig erkennt, bekommt einen Punkt. Das rätselaffine Kind ist mit Feuereifer dabei, stellt fest, dass die gelben Karotten weicher sind als die orangefarbenen, probiert die ihm sonst verhassten Tomaten ohne Protest. Nach zehn, zwölf Runden schlage ich vor, den Rest der Gemüsepfanne auf normale Weise fertigzuessen. Da klaubt sich das Kind nur die Kartoffeln heraus. Das andere, verkündet es, „schmeckt mir alles nicht“. Aber, sage ich, das hast du doch gerade alles bei der Verkostung gegessen. Schon, sagt das Kind, aber das war nur ein Spiel.
Ach so. Eh klar.