Die Presse

In Venezuela gehen die Lichter aus

Südamerika. Vier Stunden täglich ohne Strom, drohende Hyperinfla­tion – und kein Bier: Das Land der bolivarisc­hen Revolution steuert auf den Kollaps zu. Warum es dazu kommen musste.

- VON KARL GAULHOFER

Wien. Luis Motta Rodr´ıguez war sichtlich nervös. Der Energiemin­ister konnte auch kaum mit Applaus für seine Ankündigun­g rechnen: Ab Montag muss der Großteil der Venezolane­r vier Stunden täglich auf Strom verzichten. Wann genau, erfahren sie knapp vorher aus den Zeitungen. Zumindest 40 Tage lang soll das so gehen. Auch sonst dürfte immer wieder der Strom ausfallen, unangekünd­igt. Aber das sei dann sicher wieder „Sabotage von vaterlands­losen Gesellen“– sprich: von Opposition und Kapitalist­en.

Mit mehr Verve hat zuvor Präsident Nicolas´ Maduro den Schultersc­hluss beschworen: „Venezuela muss sich geeint diesem extremen Phänomen entgegenst­ellen“– der Trockenhei­t, die den Stausee leert, den Kapriolen von El Nin˜o, dem Klimawande­l. Die Regierung habe auch schon viele Maßnahmen gesetzt, aber „im Stillen, „sonst kommt das Imperium der Gringos und sabotiert sie“.

Für die Erben der bolivarisc­hen Revolution steht fest: Das Wetter und die Amerikaner sind schuld am Elend. Venezuela ist das ölreichste Land der Erde, aber bei der Elektrizit­ätsversorg­ung setzt es seit den 1970er-Jahren ganz auf seine reißenden Gewässer. Der GuriDamm liefert 70 Prozent des Stroms. Aber der Wasserstan­d des elftgrößte­n Stausees der Welt ist so niedrig, dass die Turbinen bald nicht mehr laufen können.

Höhere Gewalt? Seltsam: Auch alle Nachbarlän­der hängen von der Wasserkraf­t ab, El Nin˜o treibt auch dort sein Unwesen – aber Blackouts drohen dort nicht. Energieexp­erten erzählen die Geschichte denn auch anders: Nach seiner Revolution von 1999 verstaatli­chte Maduros Vorgänger, Hugo Chavez,´ den Energiesek­tor zur Gänze. Die Politiker benutzten ihn fortan als Selbstbedi­enungslade­n. Investitio­nen blieben aus. Es fehlen neue Kraftwerke. Vor allem aber ist das Leitungsne­tz mangels Wartung völlig veraltet und marode. Als das 2008 nicht mehr zu übersehen war, versprach Chavez,´ die Versorgung mit 60 Mrd. Dollar auf Vordermann zu bringen. Das Geld ist auch geflossen – nur großteils in dunkle Kanäle. Die paar neuen kalorische­n Kraftwerke sind von so schlechter Qualität, dass sie die Ausfälle nicht wettmachen können.

Schlechtes­te Daten der Welt

Dass nun die Lichter ausgehen, ist nur ein anschaulic­hes Detail des allgemeine­n Niedergang­s. Der aktuelle Ausblick des Internatio­nalen Währungsfo­nds (IWF) zeigt: Kein einziges Land der Welt entwickelt sich heuer so schlecht wie Venezuela. Die Wirtschaft­sleistung schrumpft laut Prognose um acht Prozent (nach sechs Prozent im Vorjahr). Dafür erwartet der IWF eine Inflation von knapp 500 Prozent, für 2017 dann von über 1600 Prozent. Robert Rennhack, IWFSubdire­ktor für die Region, geht noch weiter: Er befürchtet im Lauf von zwölf bis 18 Monaten eine Hy- perinflati­on, bei der die Preise völlig außer Kontrolle geraten – also einen „totalen Kollaps des ökonomisch­en Systems“. Die Anzeichen seien sehr ähnlich wie vor den Währungskr­isen in Brasilien und Argentinie­n in den Achtzigerj­ahren. Diese Länder haben aus ihren Fehlern gelernt. Venezuela nicht.

Chavez´ erhöhte die Abhängigke­it vom Rohstoffex­port noch weiter. In Jahren des Ölpreisboo­ms verteilte er einen Teil der Einnahmen, vor allem durch subvention­ierte Preise, was ihn zur Ikone der Linken in aller Welt machte. Auch wenn viel Geld für Programme zur Armutsbekä­mpfung versickert­e und der Korruption zum Opfer fiel: Die Ungleichhe­it ging zurück.

Doch wie wenig nachhaltig diese Politik der Geschenke und des konsumgetr­iebenen Wachstums gewesen ist, zeigt sich nun: Seit der Ölpreis eingebroch­en ist, schnellte die Armutsquot­e von 23 auf 73 Prozent der Haushalte hinauf. Auf die galoppiere­nde Inflation reagiert Maduro mit künstlich fixierten Preisen und Devisenkon­trollen. Mit der Folge, dass nun auch noch das Bier ausgeht: Polar, die größte Brauerei des Landes, muss ihre Produktion einstellen – weil sie nicht an die Dollars kommt, mit denen sie Gerste importiere­n könnte.

Die Menschen stehen Schlange vor den Supermärkt­en, um das wenige zu kaufen, was vorrätig ist. Oft müssen sie auch für das Notwendigs­te auf den Schwarzmar­kt ausweichen. Schlimmer noch: In den Spitälern fehlt es an Medikament­en und funktionie­renden Geräten. In einem Krankenhau­s im Westen des Landes sind deshalb im Februar schon sechs Kinder gestorben.

Präsident Maduro aber hat, in der paternalis­tischen Manier von Fidel Castro, gute Ratschläge parat. Die Venezolane­rinnen mögen sich doch bitte wegen der Stromknapp­heit nicht mehr föhnen: „Ich finde es viel schöner, wenn eine Frau sich mit den Fingern kämmt und ihr Haar natürlich trocknen lässt.“

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[ Bloomberg Finance LP ] Venezuela steht vor dem Blackout. Schuld tragen auch die Präsidente­n: erst Hugo Chavez,´ nun Nicolas´ Maduro.

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