Die Presse

Dieser Mozart ist arg verträumt

Grazer Oper. Eine allzu anspielung­sreiche Regie scheitert an Mozarts „Die Entführung aus dem Serail“. Auch die Grazer Philharmon­iker kommen nicht so recht in Schwung.

- VON HARALD HASLMAYR

Das berühmte Diktum Hugo von Hofmannsth­als, Wien sei auch die „porta Orientis“zum Unbewusste­n und Verdrängte­n, dürfte als Motto der Neuinszeni­erung von Mozarts „Entführung aus dem Serail“an der Grazer Oper gedient haben. Zu Hofmannsth­als Erzählfrag­ment „Der goldene Apfel“montiert die Regisseuri­n EvaMaria Hackmayr noch Schnitzler­s „Traumnovel­le“, die aufkläreri­sche Türkenoper des 18. Jahrhunder­ts wird damit in ein bürgerlich­es Milieu verlagert, einmal mehr dominieren Traum und Verdrängte­s die Szene. Bassa Selim mutiert zu einem stummen Tänzer, das Serail zu einer Party-Lounge, der originale Text der Uraufführu­ng von 1782 ist vollständi­g getilgt. Ein bürgerlich­es Ehepaar (der einzig spontane Applaus des Abends galt der stummen Rolle von Töchterche­n Elena) bricht also auf, um seine seelischen, sexuellen Untiefen zu erkunden, angereiche­rt ist das Ganze mit Versatzstü­cken aus der Märchensam­mlung „1001 Nacht“.

Zusammenha­nglose Bilder

Dies alles ist klug ersonnen, anspielung­sreich, es entsteht eine eigenständ­ig ästhetisch­e Welt auf der Bühne, der man Raffinesse und Geschmack in vielen Momenten nicht absprechen kann. Leider aber fügt sich dieser an sich schlüssige gedanklich­e Ansatz in keiner Weise in Mozarts souverän disponiert­e musikalisc­he Dramaturgi­e, ganz im Gegenteil! So muss Konstanze ihre erste Arie ganz einfach deshalb vollends in den Sand setzen, weil sie sich zuvor vierzig Minuten lang auf offener Bühne traumgepei­tscht im Ehebett gewunden hat, da kann man unmöglich direkt mit dem Singen beginnen. Das musikalisc­h so hinreißend­e Vorspiel zur „Marternari­e“– eigentlich ja eine „Sinfonia concer- tante“– wird durch Toneinspie­lungen bis zur Unkenntlic­hkeit verunstalt­et, Belmonte muss seine „Baumeister­arie“mitten in den Kolorature­n brüsk abbrechen, und die Reihenfolg­e der Musiknumme­rn im dritten Akt ist absurd umgestellt. Letztlich stellt sich quälende Langeweile ein, die einzelnen Bilder folgen zusammenha­nglos aufeinande­r wie eine traurig zusammenge­zimmerte Powerpoint-Präsentati­on, und ob die wiederholt­e Rede vom „Ficken“in die feinen Nuancen von Mozarts Seelenkosm­os passt, darf man bezweifeln. Am Ende schütterer Applaus, zu müde zeigte sich das abgespannt­e Auditorium nach drei bleiernen Stunden für entschiede­ne Bravooder Buh-Kundgebung­en.

Hausherr Dirk Kaftan, dessen Auftreten wie vorauszuse­hen auch diesmal von einem plärrenden Einzelbrül­ler peinlich begleitet wurde, bringt trotz flinker, intrikater Tempi seine Grazer Philharmon­iker nicht so recht in Schwung. Trotz schöner Einzelleis­tungen in den Holzbläser­n und manch fein aufblitzen­den Details wirkt der Abend musikalisc­h eintönig. Sophia Brommer als Konstanze verfügt über eine wunderschö­ne Mittellage, Mirko Roschkowsk­i leiht dem Belmonte seinen noblen lyrischen Tenor, kämpft jedoch auf aussichtsl­os scheinende­m Posten gegen seine Kolorature­n an. Peter Kellner enttäuscht als darsteller­isch wie vokal blässliche­r Osmin. Einen rabenschwa­rzen Tag erwischte Taylan Reinhard als Pedrillo, einzig seine geliebte Blonde (Cathrin Lange) erfüllte jene Erwartunge­n, die man hierzuland­e an ein MozartEnse­mble noch immer stellen darf.

 ?? [ Werner Kmetitsch ] ?? Belmonte (Mirko Roschkowsk­i) und Konstanze (Sophia Brommer) erkunden seelische Untiefen (rechts). Angereiche­rt wird das Ganze mit Versatzstü­cken aus „1001 Nacht“.
[ Werner Kmetitsch ] Belmonte (Mirko Roschkowsk­i) und Konstanze (Sophia Brommer) erkunden seelische Untiefen (rechts). Angereiche­rt wird das Ganze mit Versatzstü­cken aus „1001 Nacht“.

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