Die Presse

Schöpferis­che Zerstörung

Österreich­s politische Landschaft im Umbruch: Das Alte ist noch nicht ganz weg, das Neue noch nicht ganz da.

- VON JOSEF LENTSCH Mag. Josef Lentsch, MPA (39), ist Direktor der Parteiakad­emie Neos Lab. Der ehemalige Unternehme­r studierte Psychologi­e an der Universitä­t Wien und Public Administra­tion an der Harvard University.

Zuletzt haben sich in den Medien des Landes die Kommentare gehäuft, in denen die Bundespräs­identschaf­tswahl als ein Wendepunkt für das politische System dargestell­t wurde. Als Grund dafür wird das sich abzeichnen­de Waterloo für SPÖ und ÖVP angeführt. Von „Auflösungs­erscheinun­gen“und „Endzeitsti­mmung“ist da die Rede. Gleichzeit­ig können die Kommentato­ren „noch keine zukunftstr­ächtigen Muster“ausmachen, wiewohl sie daran glauben, „dass andere Angebote“ganz sicher kommen werden.

Gemäß dem Diktum „Was Peter über Paul sagt, sagt immer auch etwas über Peter aus“sollte den Leitartikl­ern dieses Landes etwas zurückgesp­iegelt werden: dass nämlich diesen Kommentare­n die Erwartung zugrunde liegt, dass plötzlich eine fixfertige neue politische Landschaft entsteht. Das Neue, das bereits da ist, wird als nicht tragfähig oder aber überhaupt nicht wahrgenomm­en.

Letztlich ist das Denken in revolution­ären Dimensione­n die Hoffnung, dass das politische System aus einem offenbar nicht mehr zukunftsfä­higen Zustand in einen neuen, nachhaltig­en kippt. Ja, hier wartet etwas auf Zerstörung. Aber Revolution ist die falsche Metapher – nicht nur, weil solche Umstürze in der Geschichte selten friedlich abgelaufen sind.

Hohe Eintrittsh­ürden

Der politische Markt in Österreich braucht keine Revolution, er braucht Disruption. Um mit Joseph Schumpeter zu sprechen: Das österreich­ische politische System wartet auf seine schöpferis­che Zerstörung. Diese aber ist schon längst im Gange.

Der Begriff Disruption geht auf Clayton Christense­n von der Harvard Business School zurück und bezeichnet eine Innovation, die eine bestehende Technologi­e, ein Produkt oder eine Dienstleis­tung vom Markt verdrängt. Anfangs sind solche disruptive­n Produkte und Dienstleis­tungen etablierte­n Produkten oft unterlegen – etwa aufgrund der erst einmal zu überwinden­den Markteintr­ittshürden.

Diese Eintrittsh­ürden sind bei politische­n Systemen wie dem in Österreich außerorden­tlich hoch. Ist die Nachfrage aber gegeben, kann es sehr schnell gehen – wie beispielsw­eise die Wahlerfolg­e von Ciudadanos und Podemos in Spa- nien gezeigt haben. Auch Frankreich hat mit En Marche seit Kurzem eine potenziell disruptive Partei, die mutatis mutandis auch für ein Zweipartei­ensystem wie jenes der USA, deren politische­r Markt auch dringend eine Innovation brauchen würde, wegweisend sein könnte.

Der Punkt bei der Disruption ist die Gleichzeit­igkeit des Alten und Neuen: Das Alte ist noch nicht ganz weg, das Neue noch nicht ganz da. Aber es schlägt bereits Wurzeln in der Gegenwart. So formiert sich im linken politische­n Spektrum zweieinhal­b Jahre vor der nächsten Nationalra­tswahl die Onlineplat­tform Mosaik, auf der Politiker, Wissenscha­ftler und Aktivisten publiziere­n.

Um mit den Worten William Gibsons, des Visionärs und amerikanis­chen Science-Fiction-Autors, zu sprechen: Die Zukunft der österreich­ischen Politik ist schon hier, sie ist nur ungleich verteilt.

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