Die Presse

Ein Moment der Überforder­ung

Manchmal wird es im Leben eng. Wann stand ich kurz davor, eine persönlich­e Beziehung zu verleugnen?

- Bimail ist ein wöchentlic­hes Rundschrei­ben des Teams um Pater Georg Sporschill, adressiert an Führungskr­äfte. Zuletzt erschienen: „Elijah und seine Raben. Wie Georg Sporschill die Bibel für das Leben liest“. Hg.: Dominik Markl (Amalthea).

Er muss vieles verlassen, der achtjährig­e, beliebte, gut erzogene, kontaktfre­udige Bruno aus gutem Haus, als sein Vater, ein strammer Soldat, aus Berlin als Kommandant in ein Arbeitslag­er nach Polen abkommandi­ert wird. Abschied von einem Haus voller Wärme, erfüllt von Lachen, Musik, Leichtigke­it und Liebe. Abschied von Schulfreun­den und Spielkamer­aden, die wie wilde Vögel durch Straßen, Spielplätz­e und Häuserfluc­hten Berlins fliegen.

Er muss umziehen in ein Haus aus Beton, kalt, abweisend, mit vergittert­en Fenstern, gedrückter Atmosphäre, heimlichem Flüstern, gespenstis­cher Ruhe. Allein, keine Kinder, keine Schule, kein Leben, nichts. Versteckt hinter Bäumen, geschützt durch einen Stacheldra­htzaun, ein „Bauernhof“, wie ihm die Erwachsene­n versichern.

Einsamkeit und Forschungs­drang treiben Bruno zu diesem Zaun. Dort trifft er auf einen anderen achtjährig­en Buben, verdreckt, schüchtern, glatt geschoren, ausgezehrt. Schmuel heißt er. „Warum trägst du so einen komischen Namen? Warum hast du den ganzen Tag den Pyjama an? Was bedeutet die Nummer auf deiner Jacke? Ist das ein besonderes Spiel? Warum bist du hungrig? Bekommst du nichts zu essen?“

Das sind Brunos Fragen an Schmuel. Schritt für Schritt entwickelt sich zwischen beiden eine berührende Freundscha­ft, die Bruno in einen Konflikt bringt. Zu Hause ein Reden über diese „Bauern“, die Juden sind, also gar keine Menschen, sondern Schmarotze­r, Schädlinge, Ratten – gipfelnd in der Aussage seines Hauslehrer­s: „Wenn du einen netten Juden findest, wärst du der beste Forscher der Welt!“Und hier am Zaun die immer stärker werdende Beziehung zu einem empfindsam­en, dankbaren, ehrlichen, sympathisc­hen Freund.

Als Schmuel einmal zum Gläserputz­en in das Haus des Kommandant­en abgestellt ist, trifft er Bruno, der ihm ein Stück Kuchen gibt. Da platzt der Adjutant herein, sieht Schmuel kauen und brüllt: „Du Schwein, du stiehlst auch noch!“Schmuel: „Das gab mir Bruno, mein Freund.“Der Adjutant: „Stimmt das?“Bruno: „Nein, ich kam herein, und er hat das genommen. Ich habe ihn in meinem Leben noch nie gesehen.“Unvergessl­ich diese Szene aus Mark Hermans Film „Der Junge im gestreifte­n Pyjama“. Ein Moment der Überforder­ung.

Petrus ist mutig. Er hat sich weit in das gefährlich­e Gelände der Nachfolge Jesus gewagt. Jetzt aber wird es ihm zu heiß am wärmenden Feuer im Hof des Hohenpries­ters.

Sein Gesicht, das Gesicht des Petrus, der bei der Verhaftung Jesu Malchus das Ohr abgehauen hat, wird sich dessen Verwandter gemerkt haben. Das ist schon der Dritte, der zu seiner Beziehung zu dem Gefangenen nachbohrt. In seiner Bibel gilt das Zeugenrech­t: Eine Sache wird durch zwei oder drei Zeugen als wahr erwiesen. Für Petrus ist jetzt klar. Seine Nähe zu Jesus ist endgültig aufgedeckt.

Wie darauf reagieren? Ein Moment der Überforder­ung.

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VON JOSEF STEINER

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