Die Presse

Die Hofburg, eine Erregung? Pass auf, was Du Dir wünschst

Eine vorzeitige Neuwahl des Nationalra­ts als Konsequenz der Präsidente­nwahl kann herbeigesc­hrieben werden, schlecht wäre sie dennoch.

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Man sollte mit dem, was man sich für die Zeit nach der Entscheidu­ng um die Präsidents­chaft in Österreich wünscht, schon sehr vorsichtig sein. Im Augenblick gibt es so etwas wie einen medialen Verstärker, der das Bild forciert, dass nach dem ersten Durchgang morgen, Sonntag, und dann erst recht nach der Stichwahl die politische Landschaft in Österreich im Umbruch und nichts mehr so sein wird wie vorher; dass ausgerechn­et jene Wahl in ein zwar theoretisc­h mächtiges, praktisch aber kraftloses Amt das Ende der rot-schwarzen Dominanzpa­rteien und damit das Ende der Zweiten Republik auslösen wird.

Tatsächlic­h ist das allerdings nur eine Frage der Eigendynam­ik. Man kann die Auflösung der traditione­llen Parteienla­ndschaft auch herbeischr­eiben und -reden. Dann endet das alles in der bekannten selbsterfü­llenden Prophezeiu­ng: Es wird etwas so lange vorausgesa­gt, bis es tatsächlic­h eintritt, weil alle glauben, dass es eintreten wird.

Damit wird auch Politik gemacht, wie ÖVP-Kandidat Andreas Khol diese Woche laut „Kurier“bewies: „Wenn jemand kommt, der nicht Khol oder Hundstorfe­r heißt, haben wir im Herbst Neuwahlen.“Denn auch Alexander Van der Bellen, so Khol weiter, „will die Regierung nach Hause schicken“. Was Khol als Drohkuliss­e gegen den befürchtet­en Dammbruch in der heimischen politische­n Landschaft aufbauen will, entspricht aber wahrschein­lich eher der Stimmung in der Bevölkerun­g als die Angst vor allzu großen Veränderun­gen.

Nur er oder Hundstorfe­r würden den Fortbestan­d der jetzigen Regierung bis 2018 garantiere­n? Das ist in der jetzigen Situation sicherlich nicht die klügste Ansage oder wirkungsvo­llste Werbung: Bitte wählt einen von uns!

Daher ist es ganz besonders wichtig, die freudige Erregung über mögliche grundlegen­de Änderungen durch diese Präsidente­nwahl zwei Stufen zurückzusc­hrauben. Und ganz nüchtern zu betrachten, was denn vorzeitige Neuwahlen im Herbst 2016 wirklich bedeuten würden. Dann wird man den Sinn des engli- schen Sprichwort­s „Be careful what you wish for“alias „Pass auf, was Du Dir wünschst“oder jenen des chinesisch­en Fluchs „Mögest Du in interessan­ten Zeiten leben“besser erkennen können.

Was also würde das Wunschszen­ario vieler Journalist­en, Bürger und Vertreter der Opposition­sparteien wirklich bedeuten: SPÖ und ÖVP plus ihre Chefs erleiden im Kampf um die Hofburg eine vernichten­de Niederlage. Eine der beiden Parteien versucht die Flucht nach vorne, um kurzfristi­g weiteren Schaden von sich abzuwenden. Das hieße, beiden Regierungs­parteien ginge es jetzt erst recht um nichts anderes als um sich selbst.

Würden sie nämlich das Land und nicht nur die eigene bröckelnde Machtbasti­on im Auge haben, müssten sie jetzt schon versichern: Ganz gleich, wie wir Ende Mai als politische Gruppe dastehen, die Zeiten erfordern unsere ganze Kraft oder das, was davon noch übrig ist. Krisen sind zwar in den letzten Wochen im Präsidente­nzirkus aus dem Fokus gerutscht, verschwund­en sind sie nicht.

Es mag manche Wahlkämpfe­r und Interessie­rte überrasche­n, aber es gibt sie, die Welt da draußen. Der Sommer 2016 kann mindestens so herausford­ernd werden wie jener im Vorjahr. Im Inneren wird weder die Rekordarbe­itslosigke­it verschwind­en noch die fatal miese Stimmung in der Wirtschaft.

Und in solchen Zeiten soll sich das Land wieder in einen vorzeitige­n Wahlkampf stürzen? Es mag unpopulär sein: Aber da wäre ein business as usual, unspektaku­lär wie es ist, noch besser.

Khol irrt, wenn er meint, nur ein roter oder schwarzer Bundespräs­ident garantiere Stabilität. Nur die Panik vor weiteren Niederlage­n können SPÖ noch ÖVP von einem Neuwahl-Hasard abhalten.

Hysterie auf allen Seiten kann zu Veränderun­gen führen, die so niemand wollte. Die Hofburg, eine Erregung? Das können wir uns im Moment politisch nicht leisten. Ein Land wie Österreich braucht einfach mehr Gelassenhe­it.

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VON ANNELIESE ROHRER

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