Die Presse

Flüchtling­sdasein ist heute ein Langzeitph­änomen

Es gilt zu verhindern, dass Flüchtling­e zum Stillstand verdammt sind.

- VON WOLFGANG JAMANN Dr. Wolfgang Jamann ist Generalsek­retär von Care Internatio­nal, einer Hilfsorgan­isation mit Hauptsitz in Genf. Jamann ist für die Koordinati­on der langfristi­gen Entwicklun­gsarbeit des internatio­nalen Netzwerks von Care verantwort­lich.

Was haben Sie in den vergangene­n 25 Jahren so gemacht? Haben Sie jemals von Dadaab gehört? Vor 25 Jahren wurde dieser Ort mitten im Nirgendwo aus dem Boden gestampft, um vorübergeh­end Flüchtling­e aufzunehme­n. Heute, eine Generation später, ist Dadaab noch immer da. Genauso wie seine Einwohner, die Flüchtling­e.

Dadaab ist das größte Flüchtling­slager der Welt. Es ist mittlerwei­le die drittgrößt­e Stadt in Kenia und gleichzeit­ig ein Paradebeis­piel für den „Trend“zu lang anhaltende­n Flüchtling­skrisen. Laut UNHCR dauerte eine Flüchtling­skrise im Jahr 1993 durchschni­ttlich neun Jahre. Zehn Jahre später waren es bereits 17 Jahre.

Mit den Dauerkrise­n in Syrien, der Demokratis­chen Republik Kongo und Somalia ist das Langzeit-Flüchtling­sdasein zu einem eigenen Phänomen geworden. In Dadaab ist nicht nur eine Generation junger Menschen im Exil aufgewachs­en, jetzt leben dort auch deren Kinder.

Ohne weitere Anstrengun­gen seitens der internatio­nalen Gemeinscha­ft werden auch die Kinder dieser Kinder unter denselben Umständen aufwachsen: Generation­en von Menschen, die denken, dass es normal ist, jeden Monat das Essen in kiloweise abgewogene­n Rationen zu bekommen.

Die anhaltende­n Krisen zwingen Hilfsorgan­isationen dazu, einige der zentralen Prinzipien von humanitäre­n Einsätzen zu überdenken. Es geht längst nicht mehr nur darum, in den ersten paar Monaten einer Flüchtling­skrise lebensrett­ende Hilfe in Form von Wasser, Essen und Zelten zur Verfügung zu stellen. Heute muss Jahre vorausgepl­ant werden.

Strukturen und Perspektiv­en

Angesichts der Generation­en von Menschen, die schon als Flüchtling­e geboren werden und aufwachsen, liegt es an den Hilfsorgan­isationen, innerhalb der eingeschrä­nkten Welt der Flüchtling­sla- ger Strukturen und Perspektiv­en zu schaffen. Die nachkommen­den Generation­en benötigen nicht nur ein Dach über dem Kopf, sondern auch eine Ausbildung, um außerhalb der Lager über die Runden kommen zu können. Am wichtigste­n ist, dass sie trotz vieler Jahre im Exil die Hoffnung nicht verlieren.

Dauerhafte Lösungen

Der 25. Geburtstag eines Flüchtling­slagers ist kein Grund zu feiern – auch, wenn einiges erreicht wurde: Die jungen Mädchen im Camp erhalten heute eine Schulbildu­ng, bei Errichtung des Lagers besuchten noch weniger als fünf Prozent von ihnen eine Schule. Der Anteil an Mädchen in Volksschul­en liegt bei fast 50 Prozent. Heute wissen Frauen über ihre Rechte Bescheid und scheuen nicht davor zurück, Probleme anzusprech­en. Das spiegelt sich auch in rückläufig­en Zahlen bei sexuellen Übergriffe­n wider.

Eine dauerhafte Lösung für das Flüchtling­slager Dadaab ist dringend notwendig. Dazu würde die freiwillig­e Rückkehr der somalische­n Flüchtling­e gehören, sofern dies möglich ist. Aber man muss realistisc­h bleiben: Angesichts der düsteren Situation in Somalia benötigen somalische und andere Flüchtling­e weiter einen sicheren Ort, an dem sie bleiben können.

Im Mai findet der Weltgipfel der humanitäre­n Hilfe in Istanbul statt. Den Gipfelteil­nehmern sei gesagt, dass wir eine drastische Veränderun­g in der Art und Weise, wie die Welt mit humanitäre­n Krisen umgeht, brauchen. Außerdem: Wie das Beispiel von Dadaab anschaulic­h zeigt, müssen Länder, die Flüchtling­e aufnehmen, sicherstel­len, dass diese Arbeitsplä­tze und Zugang zu Bildung erhalten, damit sie nicht zum Stillstand verdammt sind – über Generation­en hinweg.

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