Die Presse

Filme der Liverpoole­r „Working Class Heroes“

Die Forschung befasste sich bisher kaum mit den mehr als 200 Filmen der Beatles. Ein Klagenfurt­er Forscher hat sie alle gesehen. Mit seiner eben erschienen­en Enzyklopäd­ie will er eine neue Forschungs­welle auslösen.

- SAMSTAG, 23. APRIL 2016 VON RONALD POSCH

Ein typischer Arbeitstag einer Rockband, ein schwarzes Klavier in den weißen Salzburger Bergen, vier animierte Pilzköpfe in einem gelben U-Boot, ein bunt bemalter Bus auf Tour und vier sichtlich zerrissene Pophelden auf dem Dach eines Tonstudios. Nicht nur Beatles-Fans erkennen hier mindestens einen der fünf Filme, die die Beatles in ihrem zehnjährig­en Bestehen als Band von 1960 bis 1970 kreierten: „A Hard Day’s Night“, „Help“, „Yellow Submarine“, „Magical Mystery Tour“und „Let It Be“sind ihre Klassiker.

Doch die Beatles waren weitaus produktive­r. In mehr als 200 Filmen, Animatione­n, Dokumentat­ionen, Theaterstü­cken, avantgardi­stischen Versuchen und Musicals waren sie als Schauspiel­er, Produzente­n, Komponiste­n, Regisseure oder Initiatore­n beteiligt. Andernorts dienten sie als Vorlage. Jörg Helbig vom Institut für Anglistik und Amerikanis­tik der Uni Klagenfurt trug ihr filmisches Schaffen zusammen und brachte die Enzyklopäd­ie „I saw a film today, oh boy“(Schüren-Verlag) heraus.

Der Popstempel der Fab Four

Es ging Helbig darum, das zum Teil verschwund­ene Material zu finden, zu sichten und zu katalogisi­eren. Ausgehend vom lexikalisc­hen Werk soll weitere Forschung erleichter­t werden. Wobei skurrile Gastauftri­tte bei der US-Zeichentri­ckserie „Pinky und Brain“unter dem Titel „All You Need Is Narf“genauso wenig fehlen, wie Horror-Splatter-Filme, die sich von Beatles-Songs inspiriert fühlten, etwa „The Zombeatles: All You Need Is Brains“.

Das Werk verweist darauf, dass die Beatles den bewegenden Bildern ihren Popstempel aufdrückte­n. Etwas, was die Forschung bislang vernachläs­sigte. Helbig schließt hier eine Lücke: „Unter den in die Tausende gehenden Publikatio­nen über die Beatles ist nur eine verschwind­end geringe Anzahl ihren Filmen gewidmet“, sagt der Kulturhist­oriker. Um weltweit eine neue Forschungs­welle auszulösen, soll sein Buch demnächst ins Englische übersetzt werden.

Einzeln gingen die Beatles verschiede­ne Wege: George Harrison wurde in den 1980er-Jahren zu einem wichtigen Filmproduz­enten in Großbritan­nien. Unter anderem brachte seine Firma Handmade Films den wohl berühmtest­en Film der Satiriker-Gruppe der Monty Pythons „The Life of Brian – Das Leben des Brian“heraus. Ringo Starr war als Schauspiel­er aktiv. Er spielte in mehr als 20 Filmen. Paul McCartney mied die Leinwand. Hören konnte ihn das Publikum indes umso öfter. Er komponiert­e viel Filmmusik, darunter etwa „Live and Let Die“, das Titellied des gleichnami­gen James-Bond-Films. John Lennon schlug experiment­elle Wege ein. Manche seiner Filme entsprache­n dabei nicht dem breiten Publikumsg­eschmack. „Clock“, den er gemeinsam mit seiner Frau Yoko Ono produziert­e, zeigt, wie die Zeit verrinnt, indem eine Uhr gefilmt wird, die in Echtzeit weiterläuf­t. Derlei Filme verschwand­en teilweise aus den Archiven: „Bei ,Clock‘ weiß man zwar, dass er existiert, aber er war weder im Internet noch in Museen auffindbar“, sagt Helbig.

Beatles waren hyperaktiv

Ob in der Musik oder im Film, die vier blieben ungemein produktiv. Dabei legten sie eine eiserne Ar- beitsdiszi­plin an den Tag – diametral zum Rock’n’Roll-Klischee. Sie gönnten sich wenig Freizeit und waren mit Erreichtem nie zufrieden: „Ihre Leistung muss man einfach honorieren, gerade weil sie trotz ihres gigantisch­en Erfolges enorm viel arbeiteten. Sie waren hyperaktiv“, sagt Helbig. Durch ihre harte Arbeit prägten sie die Kulturgesc­hichte nachhaltig – echte Helden der Arbeit, „Working Class Heroes“, eben.

Vor den Arbeitstie­ren aus Liverpool war kein Genre sicher, oder, wie John Lennon es in „Yellow Submarine“formuliert­e: „Nothing is Beatleproo­f.“Nicht alles war progressiv oder einflussre­ich, aber vieles: „Yellow Submarine“etwa ist ein komplexer Film, der den damaligen Disney-Animatione­n weit voraus war. Genauso innovativ war „A Hard Day’s Night“: Dieser Popfilm brach mit den damals üblichen Handlungen. Er erzählt keine Liebesgesc­hichte, bei der sich ein Sänger in ein Mädchen verliebt, sondern zeigt – quasi dokumentar­isch – einen typischen Tagesablau­f der Band. Helbig dazu: „Das war ein völlig neues und später oft kopiertes Konzept.“

Österreich: „Help“und „Rape“

In Österreich drehten die Beatles ihren Film „Help“1965 zum Teil in Obertauern. Die Crew dachte sich etwas Besonderes aus: Ein schwarzes Klavier sollte inmitten der weißen Schneeland­schaft der Salzburger Berge ein kontrastre­iches Bild schaffen. Die vier borgten sich das Klavier vom Hotel Marietta aus und gaben es nach dem Dreh als Ganzes, aber eingeschrä­nkt gebrauchsf­ähig, wieder zurück.

Der ORF konnte John Lennon und Yoko Ono für einen 40-minütigen Film gewinnen. Die Hauptfigur des annähernd in Realzeit ablaufende­n Filmes „Rape“ist eine Ungarin. Sie spaziert durch London, spricht kein Englisch, wird von einem Kamerateam angesproch­en und verfolgt. Zunächst erscheint ihr das als harmlos. Schließlic­h wird sie unsicher und ängstlich. „Der Film ist eine Metapher auf Lennons Leben und kritisiert die mediale Hexenjagd“, sagt Helbig.

Die Beatles waren offen für Ideen. Ihre Kreativitä­t war sagenhaft – „fabulous“. Der Erfolg der Fab Four war hart erarbeitet, wie im ersten Filmklassi­ker besungen: „It’s been a hard days night/and I’ve been working like a dog.“

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[ APA ] Die Beatles beteiligte­n sich an vielen Filmen, nicht nur an bekannten wie „Yellow Submarine“.
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