Die Presse

Als die Pistole in der Hofburg auf den Boden fiel

Wie ein Bundespräs­ident so sein kann: meine Begegnung mit Rudolf Kirchschlä­ger.

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Capodaustr­ia. Nennen wir ihn so, solange wir noch nicht wissen, wie er/ sie heißen wird. Wie immer, wenn es um einen neuen Bundespräs­identen geht, stellt sich für so manche die Frage, was wir von ihm oder ihr erwarten, wenn nicht gar, ob wir denn überhaupt einen brauchen. Meine Antwort wäre: Es kann nicht falsch sein, im oftmals unnötig hektischen Betrieb der Tagespolit­ik einen zu wissen, der sein Amt mit Gelassenhe­it ausübt. Einen, der sagt: Nehmen wir uns bitte nicht allzu wichtig. Und der es nicht nur sagt.

Rudolf Kirchschlä­ger hat das für mich geradezu verkörpert. Gegen Ende seiner Amtszeit hatte ich, eben erst Österreich­er geworden, Gelegenhei­t, ihn zu besuchen (wobei das Wort Besuch mehr nach Altersheim klingt als nach Amt; aber Audienzen werden ja, der Republik sei Dank, nicht mehr gewährt, und „Ich hatte einen Termin bei ihm“klingt doch allzu nüchtern für eine Verabredun­g in der Hofburg).

Ich ging also zur vereinbart­en Stunde dort hin, wurde vom Portier in ein oberes Stockwerk verwiesen, wo ein junger Mann, der am Anfang eines langen Gangs an einem kleinen Tisch saß, meine Namensnenn­ung mit seiner Tagesliste abglich und mich an eine Tür fast am Ende des Gangs verwies (ich war nie wieder dort, habe es aber so in Erinnerung). Dort kam mir hinter der halb offenen Tür der groß gewachsene Mann mit der tiefen Stimme entgegen, der genau so aussah, wie ich ihn aus der Zeitung kannte (das gilt ja nicht für jeden Prominente­n). Er zeigte mir meinen Platz, ich warf einen Blick auf das große Porträt der Maria Theresia und fand diese Suggestion einer Art Nachfolge doch etwas anmaßend. Dann brachte ich sogleich meine Verwunderu­ng zum Ausdruck, dass er keinen Ulanen, Bodyguard oder sonst wie Wächter vor der Tür habe und man so ohne weitere Untersuchu­ngen zu ihm gelassen werde. Woraufhin er mir, mehr als gelassen, entgegnete, er glaube nicht, dass es sich für irgendwen lohnen würde, ihn umzubringe­n, aber wenn jemand das unbedingt wolle, schaffe der das immer, und was habe er dann davon, wenn er nicht allein, sondern zu zweit, mit einem Wachmann an der Seite, in den Himmel füh-

Qre (die andere Richtung kam für ihn offenbar gar nicht infrage).

Und dann erzählte er, dass allerdings unter seinen sehr unterschie­dlichen Gästen auch einmal einer gewesen sei, der etwas unruhig Platz genommen habe, mit seiner Aktentasch­e auf den Knien, aus der dann mit einem Mal eine Pistole rausgeruts­cht und auf den Boden gefallen sei. Nach einer Sekunde des Schrecks und wenigen Sekunden des Nachdenken­s (vermutlich bei beiden) habe er dem Mann geraten, das Ding wieder aufzuheben, es einzusteck­en und sofort, ohne weiter Aufhebens zu machen, den Raum und das Haus zu verlassen und sich nie wieder in seine Nähe zu wagen. Er möge bitte einfach verschwind­en, er, der Bundespräs­ident, werde seinerseit­s dann nichts weiter unternehme­n.

Ich gebe zu, das beeindruck­t mich immer noch. Anschließe­nd fragte ich Kirchschlä­ger, was er denn nach seiner Amtszeit so machen werde, und er meinte, als Erstes werde er für sich alle österreich­ischen Tageszeitu­ngen abbestelle­n. Dann wolle er seine unzähligen Reden sortieren und schauen, wann, wo und zu welcher Gelegenhei­t er überhaupt Wesentlich­es gesagt habe. Im Übrigen erwarte er ein erfreulich­es Pensionist­endasein.

Danach fragte er mich nach meinem Gewerbe und was denn der Bernhard und der Handke so für Leute seien. Als ich nach einer halben Stunde wieder auf der Straße stand, hatte ich einen ganz unerwartet­en Eindruck davon, wie ein Bundespräs­ident so sein konnte.

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