Mit dem Geruch von Napalm in der Nase
Welche Folgen hat die Zerstörung von Lebensraum? Davon handelt Tom Coopers Roman über das Leben im Mississippi-Delta nach dem Hurrikan und der Ölpest.
Der Originaltitel dieses Roman lautet „The Marauders“, und bis auf Wes Trench, den Jungen, der mit seinem Vater im Sumpfgebiet des Mississippideltas Shrimps fängt und von einem besseren Leben träumt, sind alle Figuren in diesem Roman Marodeure, Plünderer, Freibeuter.
Es ist ein zutiefst pessimistischer Roman, daran ändert auch das aufgesetzte Happy End nichts. Zuerst zerstörte Hurrikan Katrina die 50 Meilen von New Orleans liegende Ortschaft Jeanette und tötete Wes’ Mutter, dann gab die Ölkatastrophe im Golf von Mexico der Südküste von Louisiana den Rest. Die Fakten sind bekannt, die angereiste Presse berichtet über die Schäden des Wirbelsturms und der Ölpest, nicht aber über die Lebensrealität der Menschen, die alles überstanden haben und dort geblieben sind.
Die Folgen eines zerstörten Lebensraums sind zerstörte Leben, die Verzweiflung, Perspektivlosigkeit und Verbitterung der älteren Generation, die alles verloren und keine Kraft für einen Neubeginn hat, der Zynismus und die Skrupellosigkeit derer, die um jeden Preis als Gewinner aussteigen wollen. Die Protagonisten werden einzeln eingeführt und ihre Lebensläufe kommen unaufgeklärt und einzeln zu ihrem oft gewaltsamen Ende.
Doch alle sind verbunden durch die zerstörte Umwelt der Barataria, eines unüberschaubaren Gebiets von Wasserwegen, Mangrovenwäldern und vorgelagerten kleinen Inseln, über der feuchte Hitze und der Gestank der Chemikalien lagern. In einem
Tom Cooper Das zerstörte Leben des Wes Trench Roman. Aus dem Amerikanischen von Peter Torberg. 384 S., geb., € 22,70 (Ullstein Verlag, Berlin) Ausschnitt über Wes heißt es: „So stellte er sich den Geruch von Napalm vor.“Trotzdem fahren die Shrimpfischer jede Nacht mit ihren Netzen in die Bucht hinaus, auch wenn die Ausbeute minimal und von schlechter Qualität ist und die Nahrungsmittelindustrie im Norden keine Meerestiere aus dem verseuchten Süden mehr kauft. Lukrativer sind da schon die kriminellen Mittel, um zu Geld zu kommen.
Der Haschischanbau in großem Stil auf einer entlegenen Insel, durch den die Brüder Toop reich geworden sind, oder der Coup der beiden Kleinkriminellen Cosgrove und Hanson, die die Villa einer alten Dame ausrauben und denen schließlich der Einbruch in die Haschischplantage der Toops zum Verhängnis wird. Nicht nur die Schwaden der Chemikalien und die Hubschrauber von BP, sondern auch zwielichtige Figuren wie der Versicherungsmakler Grimes kreisen wie Aasgeier über den verarmten, er-
Qschöpften Fischerdörfern. Er verhökert lächerlich geringe Abfertigungen an die Geschädigten, zwingt sie, Verzichtserklärungen zu unterschreiben, und wenn er sie auf ihrem Sterbebett im Spital erpressen muss. Es koste doch nichts zu unterschreiben, drängt Wes seinen Vater. „Jemand brennt dein Haus nieder und bietet dir fünf Dollar an. Kostet das nichts?“, entgegnet der. Aber für jeden kommt ein Augenblick der äußersten Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, in dem er unterschreibt.
Es sind nicht die Schwachen und die Guten, auf deren Seite das Schicksal steht, sondern es sind die Skrupellosen, die triumphieren. Figuren wie der einarmige Lindquist, der die Fischerei nur noch halbherzig betreibt und auf Schatzsuche setzt, haben in einer solchen Welt keine Chance. Er kauft sich einen Metalldetektor in der Hoffnung, alte Piratenschätze zu finden, und gräbt doch nur wertlosen Plunder aus, den der Hurrikan in den Dünen angeschwemmt hat. Die Brüder Toop stehlen seine Prothese, und als er endlich einen Koffer mit alten Dublonen findet, verliert er sein Leben durch einen Schlangenbiss.
So wenig Mord und Erpressung das Gewissen der Zwillinge Toop belastet, den brutalen Naturgesetzen der Sümpfe sind auch sie nicht gewachsen, und am Ende zerfetzen Alligatoren einen der beiden. Der Mensch ist ein Tier und nicht das stärkste in der Nahrungskette. Die eigentliche Protagonistin des Romans ist die Natur, der Dschungel des Deltagebiets, der alles verschlingt und verdaut, sogar die Ölpest. Die wunderbar atmosphärische Beschreibung der Sumpflandschaft, ihrer Vegetation, ihrer Wildheit und Schönheit verbindet die einzelnen Erzählstränge und versöhnt mit manchen Effekten, die den Roman in die Nähe eines Thrillers rücken.