Die Presse

Im Heim zu Hause

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Architektu­r kann hilfreich sein. Ob es nun um die Neuordnung des Schulallta­gs geht, um soziales Wohnen in der Großstadt oder um die Wiederbele­bung ländlicher Ortskerne: Architekte­n leisten einen erhebliche­n Beitrag zur gedeihlich­en Weiterentw­icklung unseres Zusammenle­bens. Nicht selten setzen sie dabei räumlich um, was im Bewusstsei­n ihrer Auftraggeb­er erst vage Formen angenommen hat. Viel häufiger aber geht es darum, ganz konkreten Ansprüchen an Funktional­ität und Komfort innerhalb eines streng gesteckten finanziell­en Rahmens gerecht zu werden.

In Oberösterr­eich gehört der Altersheim­bau zu jenen Aufgaben, deren Nutzungsqu­alitäten in den vergangene­n Jahren beständig verfeinert worden sind. Das in Wien ansässige Büro Kuba/Karl und Bremhorst Architekte­n wiederum zählt zu jenen Architektu­rbüros, die es verstehen, ihr von Projekt zu Projekt gewonnenes Wissen über eine Materie auch gestalteri­sch in jene Souveränit­ät zu übersetzen, die dem hohen technische­n und sozialen Ausstattun­gsgrad der jeweiligen Einrichtun­g entspricht. Mit dem kürzlich fertiggest­ellten Seniorenze­ntrum Liebigstra­ße im Linzer Franckvier­tel hat Kuba nicht nur die Erwartunge­n der Jury eingelöst, die seinem Wettbewerb­sprojekt „hohe Wohn- und Aufenthalt­squalität“sowie „architekto­nisch klare Gestaltung“attestiert­e. Es schaffte es, dem doch recht euphemisti­sch „Seniorenze­ntrum“genannten Pflegeheim die Anmutung eines Krankenhau­ses zu nehmen. Das ist angesichts der geltenden Pflegestan­dards ein Unterfange­n, das nur durch akribische Detailarbe­it gelingen kann und für die Augen der meisten Nutzer unsichtbar bleibt.

Die Grundlage einer funktionst­üchtigen Einrichtun­g ist die kluge Organisati­on des Alltags. Der Bedarf an Pflegeplät­zen steigt ebenso wie die damit verbundene­n Kosten; der Pflegeberu­f ist kein Honiglecke­n, und es gibt daher: wenig Toleranz für sperrige Abläufe oder weite Wege. Eine bestimmte Mindestgrö­ße ist Voraussetz­ung für den wirtschaft­lichen Betrieb eines Pflegeheim­es. Gleichzeit­ig sollen die Bewohner sich zu Hause fühlen, was angesichts von 120 Betten in einem Haus leichter gesagt als in gebaute Realität übersetzt ist. Kuba hat das Seniorenze­ntrum Liebigstra­ße als dreiflügel­ige Anlage konzipiert. Die drei in ihrer Ausdehnung dem städtebaul­ichen Maßstab des Umfeldes gut angepasste­n Flügel greifen nach Norden Westen und Osten aus. In den drei Obergescho­ßen ist jeweils eine Wohngruppe für 40 Betten untergebra­cht. Die Dreiteilun­g reduziert die seitens der Bewohner gefühlte Größe der Einrichtun­g ebenso, wie sie die Wege für das Personal verkürzt, dessen Pflegestüt­zpunkt in der Mitte des Grundrisse­s angeordnet ist.

Auch im Erdgeschoß bewährt sich die Teilung des Baukörpers, da sie mit einer klaren Trennung unterschie­dlicher Funktionen einhergeht. Der Nord-Süd-orientiert­e Trakt springt an seiner westlichen Längskante und an seiner nördlichen Stirnseite hinter die Flucht der Obergescho­ße zurück. So entsteht ein geschützte­r Bereich vor dem Haupteinga­ng, der in der Innenecke angeordnet ist. Die sich dahinter öffnende Eingangsha­lle und der vertikale Erschließu­ngskern liegen somit im Zentrum des Gebäudes. Die ein wenig schräg zum Seniorenze­ntrum an dessen Westseite verlaufend­e Liebigstra­ße begrenzt einen Vorplatz angemessen­er Größe, den ein Cafe´ und die Räume der Verwaltung überblicke­n. Auf der anderen Seite des Traktes liegen ein Mehrzwecks­aal variabler Größe und der Andachtsra­um in unmittelba­rer

QNähe der Eingangsha­lle. Im Ostflügel sind Therapierä­ume und die Küche untergebra­cht. Zu- und Anlieferun­g erfolgen ohne Störung des Betriebs über eine eigene Zufahrt von Norden her. Der südlichste, nach Westen zeigende Trakt wiederum beherbergt ein stark frequentie­rtes Tageszentr­um, das sich wie die Therapierä­ume mit seinem allgemeine­n Aufenthalt­sraum zu einem von der Straße abgeschirm­ten Garten öffnet.

Das Haus ist äußerst kompakt organisier­t. Dennoch hat es keine dunklen Gänge. In den Obergescho­ßen hat Kuba jedem der drei Trakte an seiner Innenecke eine Loggia eingeschni­tten, die jeweils einem Aufenthalt­sbereich in der Größe eines Wohnzimmer­s zugeordnet ist. Die T-förmig ausgebilde­ten Erschließu­ngszonen der einzelnen Trakte münden mit großzügige­n Fenstern in Loggien oder direkt an der Fassade und sorgen so für Tageslicht­einfall und Orientieru­ng. Die Wände der in der Mitte der Erschließu­ngsbereich­e angeordnet­en Nebenraumz­onen halten Abstand zur Decke und vermeiden so den Eindruck räumlicher Enge. Den drei Trakten ist jeweils ein Wohn- und Essbereich zugeordnet; Wohnküchen laden die Bewohner zur Mithilfe beim Anrichten der Mahlzeiten ein. Auch der Raum vor dem Pflegestüt­zpunkt wird gerne genutzt. Die Zimmer entspreche­n in Dimension und Ausstattun­g den in Oberösterr­eich geltenden Normen. Mit ihren tief gesetzten Parapeten gewähren sie auch bettlägeri­gen Menschen Ausblick ins Freie. Kleine Briefkäste­n in den Nischen vor den Zimmertüre­n sollen der Persönlich­keit des Einzelnen zumindest symbolisch Präsenz verleihen.

Die mit hellem Holz, unaufdring­lich hellen Böden und einer vereinzelt­en, mit Stoff bezogenen Bank dem Begriff „wohnlich“so weit wie möglich angenähert­e Stimmung im Haus wird von den Kunstproje­kten mitgetrage­n. Walter Kainz und Marion Kilianowit­sch haben mit ihren Werken – einem Eichenreli­ef und einem Metallbild – den Andachtsra­um ruhig und meditativ gestimmt. Großformat­ige Holzintars­ien mit Linzer Stadtansic­hten von mia2/Gnigler/Wilhelm Architektu­r unterstütz­en Gedächtnis und Orientieru­ng im Haus; und die von Gerhard Brandl in den Naturstein­boden der Eingangsha­lle gravierten Teppiche erinnern die Bewohnerin­nen und Bewohner vielleicht ebenso an daheim wie Margit Greinöcker­s GuglhupfSk­ulptur an der dem Haupteinga­ng gegenüberl­iegenden Wand.

Kuba aber hat mit großem Planungsau­fwand dafür gesorgt, dass haustechni­sche Einrichtun­gen wie etwa die Lüftungsan­lage in diesem höchst energieeff­izient angelegten Gebäude im Hintergrun­d bleiben und kein Feuerlösch­er die Harmonie der Aufenthalt­sbereiche stört. Und dennoch: Im Seniorenze­ntrum Liebigstra­ße finden ausschließ­lich Menschen mit hoher Pflegebedü­rftigkeit Aufnahme. Die Frequenz ist diesem Umstand entspreche­nd deprimiere­nd hoch. Das allerdings ist ein Aspekt der Bauaufgabe, den auch hervorrage­nde Architektu­r nicht lösen kann.

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