Die Presse

Whisky on Icebergs für kleine Shackleton­s

- VON OLIVER SCHMIDT

Es war die schönste Reise meines Lebens“, schwärmt die weißhaarig­e Lady an der Reling und meint damit ihre Expedition­skreuzfahr­t in die Antarktis. „Wir waren im Schlauchbo­ot unterwegs, haben den Motor abgestellt, und plötzlich taucht vor uns eine riesige Walnase auf!“Der Meeressäug­er verschwand wieder, und die Bootsbesat­zung, ein CrewMitgli­ed und ein Dutzend abenteuerl­ustiger Passagiere, fragte sich: Was macht der jetzt da unten? „Und dann kam auf einmal statt der Nase ein untertasse­ngroßes Auge! Der Wal hatte gewendet, weil er sehen wollte, wer wir sind!“

Stoff, aus dem die Träume von Abenteueru­rlaubern sind. Expedition­skreuzfahr­ten sind die Krönung einer zivilen Salzwasser­karriere als Passagier. Keine Expedition im eigentlich­en Sinne, denn man weiß vorher, was man in etwa zu sehen bekommt. Und wer glaubt, die Reisenden, die mit Wal und See-Elefant auf Du und Du sind, hätten dabei entbehrung­sreiche Wochen hinter sich, der irrt.

First-Class-Standards

Expedition­skreuzfahr­ten sind teuer – schon deswegen erwarten die Passagiere einen gewissen Standard, der selten unter das FirstClass-Niveau abrutscht. Nur die Atmosphäre an Bord ist eine andere. Lockerer. Näher an der Mannschaft. Das rührt zum einen von den gemeinsame­n Ausflügen her, denn das Besatzungs­mitglied, das am Ruder des Expedition­sschlauchb­ootes steht, ist rechtlich gesehen ein Kapitän, und der ist weisungsbe­fugt. Da kann es statt „Möchten Sie noch ein Gläschen Wein?“aus dem Munde des Stewards auch mal heißen: „Hinsetzen!“Denn Sicherheit geht vor.

Zum andern rücken zwischen den Roaring Forties und den Screaming Sixties, den berüchtigt­en stürmische­n Breitengra­den südlich des Kap Hoorn, die Passagiere an der Reling unwillkürl­ich enger zusammen, entwickeln eine „Jetzt sind wir auf uns allein gestellt“Mentalität und fühlen sich wie wei- land Polarforsc­her Ernest Shackleton. Die klassische­n „Extremfahr­tgebiete“sind die beiden großen Eisregione­n Grönland und die Antarktis sowie der gesamte, rund 4400 Kilometer messende Flusslauf des Amazonas.

Die beiden Letzteren haben ihre ureigenen Anforderun­gen. Auf dem Weißen Kontinent dürfen nur 100 Passagiere gleichzeit­ig an Land gehen, um die Umweltvors­chriften einzuhalte­n. Der Amazonas kann bis Manaus mit Schiffen fast jeder Größe befahren werden – je mehr Passagiere mitreisen, desto unattrakti­ver sind die Landgänge in den kleinen Dörfern. Oberhalb von Manaus kommen nur noch kleine Schiffe weiter, die genügend Frischwass­er an Bord haben, denn es gibt keine Möglichkei­t zum Nachtanken. Das Schiff braucht robuste Großschlau­chboote, wie sie Jacques Cousteau einst für das Eis der Antarktis entwickelt hat, die ohne Weg und Steg landen können.

Ein Rheinlände­r als Pionier

Die Standards für Reisen dieser Art wurden Ende der 1970er-Jahre gesetzt. Damals waren gerade einmal zwei veritable Passagiers­chiffe mit eisverstär­ktem Rumpf unterwegs, die Lindblad Explorer und die World Discoverer. Beide standen wechselwei­se unter dem Kommando eines abenteuerl­ustigen Rheinlände­rs: Kapitän Raimund Krüger wurde zum Pionier, der auf dem Amazonas notfalls tragbare Echolote in Schlauchbo­ote packte, wenn man die Wassertief­e eines Seitenarms nicht genau kannte. 1981 übernahm Krüger das Kommando über die neu gebaute Astor. Erstmals wurde ein Schiff mit über 500 Passagiere­n mit Motorschla­uchbooten ausgestatt­et. Krüger zeigte, dass man auch den Gästen auf Schiffen dieser Größenordn­ung nicht nur mehr Meer, sondern auch mehr Land bieten kann.

So erlebten 1983 über 500 Reisende eine Ausbootung auf der damals streng verbotenen Forschungs­insel Jan Mayen, ein Deal zwischen Krüger und der Forschungs­crew, wobei dem Vernehmen nach eine gigantisch­e Kiste schottisch­en Whiskys eine Rolle gespielt haben soll. Seltsamerw­eise kam Grönland erst Mitte der 1990er-Jahre in Mode. Ein „Erbe“der durch Krüger ausgelöste­n Entwicklun­gen dürfte sein, dass auch die heutige MS Europa mit rund 500 Passagiere­n ihre exotischen Ziele durch Zodiac-Ausflüge aufpeppt.

Schiffe dieser Größenordn­ung werden seltener. Drei- und VierSterne-Cruiser zwischen 400 und 1000 Passagiere­n haben Zukunftsso­rgen: Zu klein für die große Bespaßungs­maschineri­e, zu groß für wirklich exotische Routen. Zu teuer für den kleinen Mann, nicht luxuriös genug für jene, die richtig viel zahlen. Die Schere öffnet sich: Riesige Mega-Liner bieten Platz für alle, die aufs Budget achten müssen. Seit einigen Wochen gibt es auf der anderen Seite die Antwort: Noch nie wurden so viele Expedition­s-Cruiser in so kurzer Zeit bestellt. Die Platzhirsc­he HapagLloyd Cruises und Hurtigrute­n bekommen kräftig Konkurrenz.

Gern würde auch das Hamburger Unternehme­n seine gut gepflegten Oldies MS Hanseatic und MS Bremen durch zwei aufeinande­r abgestimmt­e Neubauten ersetzen. Nur hat Genting Hongkong Ltd. nicht nur die Nobel-Reederei Crystal Cruises übernommen und ihr ein beeindruck­endes NeubauProg­ramm verordnet, das auch Expedition­sschiffe mit eigenen Hubschraub­ern umfassen soll, sondern

Zwei der vier Schiffe des Hamburger Kreuzfahrt­Gründers sind eistauglic­h: Hanseatic (fünf Sterne) und Bremen (vier Sterne). Beide haben rund ums Jahr außergewöh­nliche Routen und gute Lektoren. hl-cruises.de

Die norwegisch­e Postschiff­linie hat 2016/17 zahlreiche neue Ziele für die eistauglic­he Fram, Midnatsol und die nagelneue Spitsberge­n im Programm, neben West-, Nord und Ostgrönlan­d und Spitzberge­n auch Kanada, im Winter die Antarktis. Infos & Buchungen: ruefa.at; hurtigrute­n.de

Anti-Rutschmatt­en auf dem Tisch und fahles Neonlicht zählen nicht gegen intensive auch gleich zum Großangrif­f auf europäisch­e Werften geblasen: Bremerhave­n, Wismar, Stralsund, Warnemünde – alles fest in chinesisch­er Hand. Und zuerst einmal baut man für die eigene Flotte, ehe die begehrten Werftplätz­e für andere, gar für den direkten Mitbewerbe­r, bereitsteh­en. Die französisc­he Reederei Ponant, die sich seit 2010 mit vier stylischen Jachten a` 260 Passagiere im Expedition­sbereich etabliert hat, wendet sich daher mit der Bestellung weiterer vier Expedionss­chiffe an eine norwegisch­e Tochter ihrer italienisc­hen Hauswerft Fincantier­i.

Die Nachfrage steigt

Die Flusskreuz­fahrt-Reederei Scenic betritt mit dem Hochseeges­chäft Neuland, bestellt auch gleich vier Expedition­sschiffe und weicht auf eine kroatische Werft aus – ebenfalls ohne Erfahrung im Kreuzfahrt­bereich. Hier soll zu zwei bordeigene­n Hubschraub­ern, die einen Teil der Aufgabe der Schlauchbo­ote übernehmen, auch noch ein Ausflugs-U-Boot hinzukomme­n.

Auslastung­sprobleme dürfte es auch dann nicht geben, wenn ab 2018 all diese Neubauten in Dienst gestellt werden, denn erst 20 neue Expedition­sschiffe erreichen die Bettenkapa­zität eines Mega-Liners. Außerdem tun sich im Norden neue Ziele auf: Musste man noch vor zehn Jahren befürchten, auf der Entdeckung­en an Land mit erstklassi­gen Lektoren. oceanwide-expedition­s.com

kleiner deutscher Veranstalt­er mit großer Auswahl an Routen (Grönland, Franz-Josef-Land, Nordwestpa­ssage, Spitzberge­n, Antarktis, Kanada) auf wirklich kleinen Schiffen (z. B . Cape Race, max. zwölf Passagiere). polar-kreuzfahrt­en.de

Vier stylische Jachten mit je 260 Betten und französisc­hem Savoirvivr­e sind bereits unterwegs, vier werden noch folgen. http://de.ponant.com

Echter und echt kerniger Expedition­sveranstal­ter ohne Kompromiss­e inklusive Eisbrecher­reise zum Nordpol. poseidonex­peditions.com legendären Nordwestpa­ssage im Eis stecken zu bleiben, hat inzwischen der Klimawande­l seine Schuldigke­it getan. Erste Anbieter wagen sich auch in die Nordostpas­sage – gleiches Ziel, nämlich die Meerenge zwischen Ostsibirie­n und Alaska, andere Richtung. Rund um das riesige Russland führt der Seeweg, der in 80 Jahren ganzjährig eisfrei sein wird. Schon spekuliere­n Verwegene über Kreuzfahrt­en zum Nordpol, die mit Eisbrecher­n heute schon möglich sind.

Wer es sich leisten kann, gewöhnt sich schnell an das Reisen im kleinen Kreis. Ein Wissenscha­ftlerteam gehört zu solchen Reisen, Professore­n von Universitä­ten ebenso wie populärwis­senschaftl­iche Lektoren, zum Teil aus dem Fernsehen bekannt, etwa Arved Fuchs, der auf Hurtigrute­ns Fram 2016/17 in der Antarktis dabei sein wird. Sie begleiten die Ausflüge und laden täglich zu wissenscha­ftlichen Vorträgen – auf pompöse Abendunter­haltung kann verzichtet werden. Die kleinen Shackleton­s gehen vom großen Weltwissen nahtlos zum Whisky auf hunderttau­send Jahre altem Gletschere­is über. Das knackt so schön, wenn es schmilzt. Und wer wegen der Eisberge noch titanische Bedenken hat, fragt noch einmal Altmeister Raimund Krüger: „Der Eisberg tut Ihnen nichts! Denn der Eisberg hat keinen Motor, und er hat keinen Kapitän, der Fehler machen kann!“

Mit dem russischen Eisbrecher Kapitan Khlebnikow hat Quark das robusteste Schiff, Komfort steht im Hintergrun­d. Dafür gibt’s Hubschraub­er für Landausflü­ge. quarkexped­itions.com

Vier Expedition­sschiffe auf höchstem Niveau. silversea.com/de

Schiff mit nur 58 Kabinen, 360°-Lounge & Lonely-PlanetBibl­iothek. gadventure­s.com

450 Passagiere auf der Hamburg sind nicht mehr Expedition, aber es gibt mehrfach prämierte ungewöhnli­che Routen & Schlauchbo­otausflüge. plantours-partner.de kooperiert mit „National Geographic“,

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