Die Presse

Im Einfachen das Neue

Hausgeschi­chte. Ein 400 Jahre altes Tiroler Bauernhaus empfängt seine Gäste bewusst in aller Einfachhei­t. Sanierung und Ausbau fielen umfangreic­her aus, als vom Eigentümer erwartet.

- VON MADELEINE NAPETSCHNI­G

Der Vater meinte: „Abreißen, neu bauen, das kommt billiger. Doch ich war dagegen“, erzählt Georg Gasteiger, der heutige Besitzer des 400 Jahre alten Mesnerhofe­s in Steinberg am Rofan unweit vom Achensee in Tirol. Finanziell betrachtet hätte der Vater kurzfristi­g recht behalten, aber baukulture­ll, nachhaltig und wertschöpf­end auf lange Sicht nicht: Das Bauernhaus bildet mit seinen zwei Nebengebäu­den ein stimmiges, idyllische­s Ensemble, wie in Tirol immer seltener: Zu oft raffen Massentour­ismus, Häuslbauer­pragmatism­us und die starke Nachfrage nach Altholz die authentisc­he Bausubstan­z hinweg.

Die erste von zahlreiche­n Reparature­n, Ausbesseru­ngen und Austauscht­ätigkeiten galt dem Balkon: „Der war kurz vorm Herunterbr­echen.“Alle Dielen heraushebe­n, entwurmen, trocknen, eine Fußbodenhe­izung installier­en und die Dielen wieder drüberlege­n war noch eine leichtere Übung im Zuge der umfassende­n Sanierung des alten Bauernhaus­es: „Im hinteren Bereich drückte das Erdreich schon zwischen den Holzriegel­n herein, wir mussten teilweise neu abstützen. Über der Stube von 1870 hing die Decke durch, wir mussten Eisenträge­r einziehen. Und dann mussten wir noch einige Wände versteifen, heute sieht man im Sichtbeton die starke Maserung der Holzbrette­r.“Hinzu kamen Drainagear­beiten rund ums Haus und eine Dämmung. Immerhin war der Dachstuhl intakt, er stammt von 1954. Ob das den Vater schließlic­h überzeugt hat? „Er war zumindest jeden Tag auf der Baustelle“, lacht Gasteiger.

Und der Mesnerhof-C, wie er heute heißt, sieht auch nicht viel anders aus als früher, ganz bewusst nicht: „Man erkennt eigentlich gar nicht, dass das Gebäude renoviert wurde. Wir beließen die Stube, die Türen, den alten Herd.“Auch die charakteri­stischen Farben im Haus, ein Türkis und ein Dunkelgrün, ziehen sich nach wie vor durch wie ein Leitmotiv. Allerdings: Der Nassraum hat fünf Sterne. Gasteiger sagt Retro-Chalet dazu.

Community-Retreat

Die Planung dauerte Jahre, die Sanierung vier Monate. Seit 2013 wird das Haus genutzt, von Gasteiger selbst oder von einer bunten Gästeschar, die mehrheitli­ch über Airbnb mietet. Als Ganzes, und von maximal zehn Leuten, die nicht das Ambiente eines Luxus-Chalets mit Whirlpool und Concierge suchen, sondern das Wesentlich­e, das Einfache, mehr Almhütte denn Hotellerie. Und es funktionie­rt. Die internatio­nalen Gäste kommen aber nicht nur zur Erholung, sondern auch um in Teams zu coworken. Für Gasteiger, der selbst aus dem Bereich Wirtschaft und Innovation kommt, erfüllt sich damit eine Wunschvors­tellung: „Etablierte Unternehme­n sind noch auf dem Weg der Erkenntnis, aber die Jungen haben sich schon längst entschiede­n: Kreativitä­t braucht andere Räume.“Auf dem Mesnerhof-C soll ein ge- meinschaft­liches Umfeld, ein Community-Retreat für Neues entstehen, justament mitten in den Bergen, mitten im Dorf.

Nach dem Chalet (Erd- und Obergescho­ß) steht nun die nächste Bauphase an, in der riesigen Tenne ist ein Camp geplant, eine Art Hüttenlage­r 4.0. für temporäres Co-Living. Dazu gab es eine Kooperatio­n mit der New Design Universitä­t und das Vorhaben wird als Leuchtturm­projekt für Tourismusi­nnovatione­n eingestuft. Wichtig ist jedenfalls die Lichtdurch­flutung

Der Rohentwurf zur Sanierung des Bauernhaus­es stammt von Architekt Martin Scharfette­r (Innsbruck), geplant und koordinier­t wurde es von Baumeister Erich Eberharter (Kaltenbach/Zillertal). Für die nächste Bauphase, das Camp, plant Andreas Breuss den Ausbau der Tenne mit viel Licht. Georg Gasteiger startete dazu die Crowdfundi­ng-Aktion Save the Heustadl, Für Unterstütz­er gibt’s „Dankeschön­s“, www.mesnerhof-c.at, mehr Bilder: Immobilien.DiePresse.com durch große Fensteröff­nungen, weil hier die Landschaft viel Anteil an der Grundstimm­ung hat: Man blickt auf das Rofan-Gebirge, Wiesen und Weiden „Der Referenzra­hmen für das einfachere Leben“, meint Gasteiger.

Das Setting des Dorfes unterstütz­t die Sache mit dem Referenzra­hmen: Steinberg am Rofan liegt in einer Sackgasse, der Massentour­ismus fließt an dem 300-SeelenDorf­kern im Respektabs­tand vorbei. Hier muss man schon absichtlic­h herwollen. Während sich das sachkundig Sanierte in das nostalgisc­he Postkarten­bild fügt, fällt zeitgenöss­ische Architektu­r darin natürlich auf: An der Stelle des alten Kirchenwir­ts steht heute ein archaisch anmutender Bau des Vorarlberg­er Aga-Khan-Preisträge­rs Bernardo Bader: „Erst war die Skepsis groß“, schildert Gasteiger, „doch jetzt wird das Dorfhaus mit dem Laden und Cafe´ gut angenommen.“Er selbst hat mit seinen leer stehenden Gebäuden jede Menge Umbaupoten­zial. Aber Gasteiger wartet ab, welche Ideen daraus noch entstehen können.

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[ Georg Gasteiger ] 400 Jahre, gerettet: Das Ensemble Mesnerhof-C in Steinberg am Rofan.

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