Die Presse

Schlag gegen die Gangs von New York

New York. Die Polizei führte den angeblich größten Schlag gegen die organisier­te Kriminalit­ät in der Geschichte der Stadt New York aus. Der Bezirk galt einst als verschrien.

- VON THOMAS VIEREGGE

Größte Polizeiakt­ion gegen die organisier­te Kriminalit­ät in der Geschichte der Stadt.

Wien/New York. Der dumpfe Knall von Pistolensc­hüssen gehört seit Jahren zur Begleitmus­ik des Alltags in Eastcheste­r Gardens, einem Sozialbau-Komplex in der Bronx, dem nördlichst­en und berüchtigt­sten New Yorker Bezirk, wohin sich kaum Touristen verlieren. Vor den Grundschul­en handeln Gangs mit Drogen, und es ist ein offenes Geheimnis, dass sie Spielplätz­e als Waffenvers­tecke nutzen.

Neulich, so erzählte es Eukeysha Gregory der „New York Times“, seien zwei Kugeln durchs Fenster ihres Nachbarn geflogen. Der Tod einer 92-Jährigen, die an den Folgen eines Querschläg­ers in den eigenen vier Wänden gestorben war, hatte bereits vor sieben Jahren den Unmut der Bewohner hervorgeru­fen. „Wer zur falschen Zeit am falschen Ort war, konnte angeschoss­en, erstochen oder getötet werden“, lautete das ernüchtern­de Fazit des zuständige­n Staatsanwa­lts, Preet Bharara.

Die Stunde der Vergeltung kam Mittwochfr­üh, noch vor dem Morgengrau­en, in Form einer Großrazzia, an der 700 Polizisten beteiligt waren – der größten Aktion gegen die Bandenkrim­inalität in der Geschichte New Yorks. Polizeihub­schrauber knatterten am Nachthimme­l, Spezialein­heiten der New Yorker Polizei stießen – teils mit Rammbock – die Wohnungstü­ren der Delinquent­en auf und führten einen nach dem anderen mit Handschell­en und Fußfesseln ab. 90 von ihnen blieben sogleich in Polizeigew­ahrsam. „Ich bin so froh, dass ich dem Captain die Füße küssen könnte“, sagte Eukeysha Gregory.

Prahlen in den sozialen Medien

Unter den Festgenomm­enen waren in überwiegen­der Zahl Afroamerik­aner, sie trugen T-Shirts, Kapuzenpul­lis und schillernd­e Namen nach dem Vorbild von Modezaren – Burberry, Gucci oder Ferragamo –, die ihren Rang in der Hierarchie festlegten. Allesamt zählen sie zur „Big Money Bosses“-Gang, die seit zehn Jahren in einen Bandenkrie­g mit ihren Rivalen, den „2Fly YGz“, verwickelt war. Auch sie hatten sich in Mafia-Manier Spitznamen a` la „Money Making Kenny“, „Broadway“, „Mark, the gritty Shark“, „Mad Dog“oder „K-Murda“zugelegt.

Mord, Drogenhand­el, Diebstahl, Betrug und Erpressung führen das Verbrechen­sregister an. Die Polizei hat die Haftbefehl­e auch aufgrund von Einträgen der Verdächtig­en in sozialen Medien wie Facebook, Twitter oder Instagram erstellt. In Sozialnetz­werken und auf YouTube-Videos haben sich die Gang- Mitglieder ihrer „Ruhmestate­n“gebrüstet, um ihr Ansehen innerhalb der Gang und deren Ruhm zu mehren, wie Chefermitt­ler Preet Bharara erläuterte. Seit eineinhalb Jahren hatte die Polizei die Gangs im Visier.

Zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts hatte die Bronx als Wohnvierte­l für jüdische Einwandere­r aus Osteuropa, für italienisc­he und irische Immigrante­n einen guten Ruf. Aus dem Viertel stammen Musiker wie Yehudi Menuhin oder Billy Joel, Autoren wie Neil Simon, Modeschöpf­er wie Calvin Klein und Ralph Lauren, Schauspiel­er wie Al Pacino, James Caan, Tony Curtis oder Denzel Washington, Regisseure wie Stanley Kubrick, Generäle wie Colin Powell – und nicht zuletzt auch mehrere legendäre New Yorker Bürgermeis­ter.

Ruf aus dem Ghetto: „Die Bronx brennt“

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs verwandelt­e sich die Bronx indes zunehmend in ein Ghetto für Afroamerik­aner und Hispanics, und vor allem die South Bronx – von Manhattan nur durch den schmalen Harlem River getrennt – war in den 1970er-Jahren wegen der Drogen- und Bandenkrim­inalität verschrien. „Meine Damen und Herren, die Bronx brennt“, fasste ein Sportrepor­ter während eines Spiels im Yankee-Stadion die Stimmung zusammen, als Gebäude reihenweis­e in Flammen aufgingen. Ganze Straßenzüg­e waren dem Ruin preisgegeb­en, der Bezirk galt am Ende der 1970er als Synonym für den Verfall des bankrotten New York.

Seit zwei Jahrzehnte­n ist allerdings eine Revitalisi­erung im Gange, die Kriminalit­ät ist signifikan­t gesunken, Hip-Hop hat hier seinen Ausgang genommen. Seit dem Neubau des Yankee-Stadions, Heimstatt des berühmten Baseball-Teams, zieht es auch weiße Familien in die Gegend. Dass die Bronx aber immer noch ein raues Pflaster ist, bekam unlängst Ted Cruz zu spüren, als Latinos den ultrarecht­en Präsidents­chaftskand­idaten de facto aus ihrer „Hood“, ihrem Viertel, verjagten.

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