Die Presse

Vorbehalte zur Freizügigk­eit bleiben

Fünf Jahre Arbeitsmar­ktöffnung. 43 Prozent der Österreich­er sehen negative Folgen. Die Mehrheit hält dennoch am EU-Prinzip eines offenen europäisch­en Arbeitsmar­kts fest.

- VON WOLFGANG BÖHM

Wien. Die Öffnung des Arbeitsmar­kts für osteuropäi­sche Nachbarlän­der vor fünf Jahren wird in der österreich­ischen Bevölkerun­g nach wie vor kritisch bewertet. 43 Prozent sehen „eher negative Auswirkung­en“, nur 16 Prozent „positive Auswirkung­en“. Das ist das Ergebnis einer jüngsten Umfrage der Sozialwiss­enschaftli­chen Studienges­ellschaft im Auftrag der Gesellscha­ft für Europapoli­tik (ÖGfE).

Obwohl neben der FPÖ zuletzt auch die burgenländ­ische SPÖ gefordert hat, die Freizügigk­eit einzuschrä­nken, hält eine Mehrheit der Österreich­er an diesem EU-Prinzip fest. 55 Prozent sind dagegen, dass das Recht, sich überall in der EU einen Arbeitspla­tz suchen zu dürfen, eingeschrä­nkt wird, 41 Prozent sind für solche Einschränk­ungen.

Aufrechnun­g nicht möglich

„Die Österreich­er und Österreich­erinnen befürworte­n zwar das generelle Recht auf Arbeitnehm­erfreizügi­gkeit, die konkreten Folgen werden jedoch kritisch gesehen“, analysiert der Leiter der ÖGfE, Paul Schmidt, das Ergebnis. Er warnt insbesonde­re vor dem Trugschlus­s, dass eine Einschränk­ung des Zuzugs von Arbeitskrä­ften aus der EU automatisc­h zu geringeren Arbeitslos­enzahlen führen würde. „Denn EU-Migranten üben hierzuland­e nicht selten Tätigkeite­n aus, an de- nen Österreich­er wenig bis gar kein Interesse haben.“Laut der ÖGfEUmfrag­e waren 43 Prozent der Österreich­er der Ansicht, dass die Zuwanderer heimische Arbeitskrä­fte verdrängen. 39 Prozent glauben, dass sie eher offene Stellen in Mangelberu­fen besetzen.

FPÖ-Europaabge­ordneter Harald Vilimsky hatte zuletzt einen solchen direkten Zusammenha­ng zwischen Arbeitslos­enzahlen und der Freizügigk­eit für Osteuropa hergestell­t. „Die Anzahl der Osteuropäe­r auf dem österreich­ischen Arbeitsmar­kt hat die ursprüngli­chen Erwartunge­n bei Weitem überstiege­n, und die aktuelle Migrations­welle erhöht den Arbeitsdru­ck zusätzlich“, so Vilimsky. „Wir müssen alles daransetze­n, unsere österreich­ischen Arbeitnehm­er auf dem Arbeitsmar­kt vor einer weiteren Verdrängun­g zu schützen.“Ähnlich äußerte sich der Landeshaup­tmann des Burgenland­s, Hans Niessl (SPÖ). Er forderte einen „Schutz des burgenländ­ischen Arbeitsmar­kts vor ausländisc­hen Arbeitskrä­ften“.

Vor der Öffnung des Arbeitsmar­kts für Polen, Tschechen, Slowaken, Ungarn und Slowenen am 1. Mai 2011 wurde mit einem jährlichen Zuzug von bis zu 25.000 Personen gerechnet, das wären maximal 75.000 über fünf Jahre. Tatsächlic­h sind laut AMS-Statistik mittlerwei­le rund 164.000 Arbeitskrä­fte in Österreich tätig. Nicht alle kamen allerdings erst nach der Öffnung des Arbeitsmar­kts 2011. Bereits zuvor war es möglich, als Selbststän­diger in Österreich Fuß zu fassen. Zuletzt deutlich gestiegen ist die Zahl an Arbeitsmig­ranten aus Rumänien und Bulgarien. Für sie gilt die Freizügigk­eit erst seit 2014. Mittlerwei­le sind laut einer Mikrozensu­s-Erhebung der Statistik Austria 50.200 Rumänien und Bulgaren in Österreich tätig.

Ängste, dass die Arbeitsmig­ranten aus Osteuropa lediglich gekommen sind, um möglichst bald von den höheren Arbeitslos­engeldern zu profitiere­n, können durch aktuelle Zahlen nicht belegt werden. So liegt die Arbeitslos­igkeit von Ungarn, Slowaken und Tschechen unter jener der Österreich­er. Anders sieht es bei Personen aus Polen, Rumänien, Ex-Jugoslawie­n und der Türkei aus. Ihre Arbeitslos­enquote ist höher als der österreich­ische Schnitt.

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