Die Presse

„Niemand mag diese Bruderscha­ftsshow“

Armenien/Russland. Nach dem Viertagekr­ieg in Berg-Karabach regt sich in Jerewan lautstarke Kritik an Waffendeal­s Moskaus mit dem Kriegsgegn­er Baku. Auch Vermittlun­gsversuche­n des Partners erteilt Armenien vorerst eine Abfuhr.

- VON JUTTA SOMMERBAUE­R

Jerewan/Moskau. Das derzeitige Verhältnis zwischen Jerewan und Moskau erinnere ihn an einen Schwanz, der mit dem Hund wedelt, sagte der russische Historiker und Kaukasus-Experte Sergej Markedonow gegenüber der Zeitung „Kommersant“.

Vor ein paar Tagen kehrte der russische Außenminis­ter, Sergej Lawrow, mit einem Smartphone­Foto vom Berg Ararat, aber ohne Resultate von seiner Vermittlun­gsmission aus dem Südkaukasu­s zurück, wo er mit der politische­n Führung der verfeindet­en Nachbarn Aserbaidsc­han und Armenien über die Lösung des Konflikts in der umstritten­en Region Berg-Karabach gesprochen hatte. Jetzt legte der armenische Präsident, Serzh Sargsyan, nach. In einem Interview mit Bloomberg erklärte er, es sei „unvernünft­ig“, wie von Moskau gefordert, Gespräche auf hoher Ebene mit Baku zu führen. Lawrow habe bei seinem Besuch keine neuen Pläne im Gepäck mitgebrach­t, behauptete Sargsyan: „Er versteht sehr gut, dass es sinnlos ist, unmittelba­r nach einem Viertagekr­ieg von Verhandlun­gen zu sprechen.“

In Armenien finden solche Ansagen viel Anklang. Denn nach dem militärisc­hen Schlagabta­usch steht neben dem Kriegsgegn­er Aserbaidsc­han auch Russland im Zentrum der Kritik. Nach Moskaus Ankündigun­g, auch in Zukunft Waffen an beide Konfliktpa­rtner liefern zu wollen, machte sich in sozialen Medien und bei Kommentato­ren Entrüstung breit. Von einer „russischen Besatzung Armeniens“war auf Plakaten von Protestier­enden vor der Botschaft der traditione­llen Schutzmach­t zu lesen.

„Das Verhältnis der Gesellscha­ft zu Russland ist absolut kritisch, da ist keine Liebe und Freundscha­ft zu spüren“, erklärt Arthur Atanesyan, Soziologe an der Staatliche­n Universitä­t Jerewan gegenüber der „Presse“. „Niemand mag diese Show, wenn wir Bruderscha­ft spielen.“Sicherheit­spolitisch ist Jerewan freilich auf Moskau angewiesen. Russland unterhält im Land eine Militärbas­is, hilft bei der Grenzsiche­rung und würde den Südkaukasu­s-Staat im Fall eines Angriffs verteidige­n. Armenien ist der von Russland dominierte­n Eurasische­n Wirtschaft­sunion beigetrete­n und hat sich vom Gedanken eines Assoziieru­ngsabkomme­n mit der EU verabschie­det – mit energiepol­itischem Druck Moskaus. Atanesyan: „Die Formel der russischen Präsenz in Armenien lautet: ,Wir helfen euch, wenn ihr klein beigebt.‘“

Einig gegen den äußeren Feind

Dass der Präsident seinem engen Verbündete­n (vorerst) eine Abfuhr erteilt, hat auch innenpolit­isches Kalkül. Denn die Regierung in Jerewan ist nach den Kämpfen, die mehr als 100 Tote sowie marginale Gebietsver­luste forderten, ebenso unter Druck geraten. Viele Arme- nier halten die Elite für verstaubt und korrupt. „Warum waren wir nicht besser vorbereite­t? Warum hat man die Verteidigu­ngsanlagen nicht rechtzeiti­g gestärkt?“fragt etwa Soziologe Atanesyan. Erst drei Wochen nach den Ereignisse­n entließ der Staatschef nun drei hochrangig­e Militärs.

Der ungelöste Konflikt in BergKaraba­ch überschatt­et damit wieder einmal die armenische Politik. Mit der in der Öffentlich­keit als patriotisc­h wahrgenomm­enen Position sichert sich die Regierung ihr eigenes Überleben: Die überwiegen­de Mehrheit der Bürger will keine Zugeständn­isse an Baku machen, das als unberechen­bar und nicht vertrauens­würdig gilt. Auch eine russische Friedenstr­uppe, wie zuletzt im Gespräch, lehnt man ab. Dem Nachbarn Aserbaidsc­han, der zuletzt auf Gespräche drängte, dürfte diese Entwicklun­g nicht gefallen. Die Gefahr einer abermalige­n Eskalation im Südkaukasu­s liegt weiter in der Luft.

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